Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)
Innere von Newgate sehen, wenn Sie das schon schlimm finden«, meint Cornelius Soul.
»Ich will Newgate nicht sehen.«
»Es ist ein Fehler, sich Feinde zu machen«, sagt er reumütig.
»Das ist wohl so«, erwidere ich. Wenigstens ein Problem, das ich nicht habe.
»Trinken Sie ein Schlückchen mit mir, Miss Trussel«, schlägt Cornelius Soul vor und berührt mich an der Schulter.
»Ich sollte zurückgehen«, entgegne ich zögernd. Er zuckt mit seinen samtbetuchten Schultern und macht einen Schritt auf die offene Tür des Wirtshauses zu.
»Das war’s also!«, sage ich verärgert, als die unmittelbare Gefahr anscheinend vorüber ist. »Sie schlendern jetzt dort hinein und lassen mich allein und ohne Schutz nach Hause gehen. Wollen Sie sich nicht einmal bei mir für den ganzen Wirbel entschuldigen, den Sie heute verursacht haben?«
»Ihnen hätte dort nichts passieren können, Miss Trussel«, antwortet er unbeschwert. »Meine saubere Miss Bekannte mit ihrer adretten Schürze und mit ihren frischen rosigen Wangen, die gekommen ist, um meinen schlechten Charakter zu retten.«
»Sie wissen nicht … Sie kennen mich nicht!«, stoße ich hervor und kann mich gerade noch zurückhalten. Beinahe hätte ich gesagt: Sie wissen nicht, was ich zu verbergen habe.
Er grinst, als wüsste er Bescheid, aber natürlich kann das nicht sein. Er senkt die Stimme, beugt sich zu mir herüber und berührt mein Kinn leicht mit dem Finger. »Ich wäre Ihnen sehr zu Dank verpflichtet, wenn Sie darauf verzichten könnten, diese Angelegenheit John Blacklock gegenüber zu erwähnen. Er ist ein unerschütterlicher Eigenbrötler, aber ich weiß nicht, ob er derartige … Unregelmäßigkeiten hinnehmen würde, seien sie nun eindeutig oder nicht.«
»Er wird vielleicht davon hören«, sage ich und halte seinem Blick stand. »Wenn auch nicht aus meinem Mund.« Über uns lässt ein Milan sein schrilles Kreischen hören. »Wir werden immer von irgendeinem scharfen Auge beobachtet, Mr. Soul.«
»Lassen Sie es mich bald wiedergutmachen, Miss Trussel«, sagt er, als ich mich abwende und die Straße hinuntergehe. Und dann ruft er mir plötzlich nach: »Ich stehe in Ihrer Schuld, in Ihrer Schuld, hören Sie!« Ich begreife, dass er recht hat, und muss unwillkürlich lächeln. Das ist etwas zu meinen Gunsten.
Allein spaziere ich zum Haus zurück und bleibe unbehelligt, wie er vorausgesagt hat.
* * *
An diesem Abend wuchte ich meinen Bauch ins Bett und lehne mich zurück. Ich ersticke jetzt fast an dem Gewicht auf mir. In meinem verschlissenen Baumwollhemd sehe ich gewiss aus wie ein trächtiges Mutterschwein. Aber wenn ich mein Hemd bis zum Kinn hochziehe und meinen bloßen, prallen Bauch in dem gesprungenen, fleckigen Spiegel über dem Waschtisch betrachte, könnte er kaum menschlicher aussehen, glatt und reif unter meiner Haut. Eine schwache dunkle Linie, die ich vorher nicht hatte, verläuft in Längsrichtung mitten über meinen Bauch. Ich versuche mich zu erinnern, ob meine Mutter auch einen derartigen Streifen hatte, wenn sie Kinder bekam, aber es gelingt mir nicht. Ich schaue und schaue. Es ist nicht Eitelkeit, die mich so konzentriert auf mich selbst starren lässt – ich versuche, mir bewusst zu machen, dass ich es bin, mit der diese Sache geschieht. Ich habe gemerkt, dass ich es nicht begreife, sosehr ich mich auch bemühe.
Und wie allein ich mich fühle, wenn ich so dastehe und meinen eigenen Körper anstarre. Ich kenne mich jetzt sogar selbst nicht mehr. Das Ich, das ich kannte, ist hinter mir in der Vergangenheit verloren gegangen. Vielleicht ist es irgendwo in den Hügeln und läuft immer noch mit Ann den Hang hinauf – wie an jenem heißen Nachmittag, an dem wir uns, kurz bevor sie aufbrach, auf die abgegraste Wiese auf dem Höhenrücken geworfen habe, oben in den Downs, wo ich hingehöre.
An jenem besonderen Tag, bevor die Schwierigkeiten begannen, war selbst die Luft voller Glückseligkeit. Die Schafe waren faul und gaben kaum Geräusche von sich. Die Septembersonne brannte heiß auf das Gras, den Thymian und die Kriechdisteln neben unseren Köpfen herunter. Zuerst nahm ich kein Vogelgezwitscher wahr, aber dann hörte ich eine Lerche, die den sauberen Faden ihres Liedes zwischen Himmel und Erde spannte. Sie war irgendwo hoch über uns. Wir lagen mit offenem Mund da und tranken die Sonnenstrahlen, solange wir konnten.
»Wovor hast du Angst, Agnes? Was für Gedanken lassen dich voller Schreck zusammenzucken, wenn du sie
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