Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)
hast?«
Ich kratzte mich am Kopf. Der blaue Himmel über uns schien sich auf und ab zu bewegen.
»Ich fürchte mich vor der Dunkelheit und vor dem Teufel«, sagte ich, drehte mich um und lachte sie aus, weil sie eine solche Frage gestellt hatte. »Warum, wovor hast du Angst?«
Ann sagte: »Ich fürchte mich vor dem Kindbett. Ich habe Angst, zu heiraten und die Frau von jemandem zu sein.« Sie pflückte einen Stängel Sauerampfer und drehte ihn zwischen den Fingern, bevor sie darauf kaute.
»Mutter«, erwiderte ich. »Mutter ist die Frau von jemandem.«
»Ich weiß.« Mehr sagte sie nicht.
»Ich hätte gerne einen Laden«, fuhr sie überraschend fort. »Wie Mrs. Langleys Laden in Pulborough, wo man Bänder und Knopfhaken und Musselin kaufen kann.« Ich brauchte nicht zu antworten. Wir lagen dort auf dem Rücken in der Sonne und wussten, dass es nie so sein würde.
»Was würdest du gerne machen, später?« Ann rollte sich plötzlich auf den Bauch und sah mich an, die Augen zum Schutz gegen die gleißende Sonne beschattet.
»Ich weiß nicht«, sagte ich, setzte mich auf und schaute in den Dunst, in dem sich das Meer als blauer Streifen in der Ferne abzeichnete. »Ich kann nicht in die Zukunft sehen. Es hat keinen Sinn, es zu versuchen, weil es nie so sein wird, wie man es sich vorstellt. Welche Träume können Frauen in diesem Leben haben, die nicht von der Wirklichkeit zerstört werden?« Ich legte die Hände flach auf das warme, kratzige Gras.
»Denk nach«, drängte sie mich. »Stell dir dich selbst vor, irgendwo in der unbekannten Zukunft. Du tust etwas – was ist es? Du bist so klug, Agnes, du könntest alles machen.«
Um ihr eine Freude zu machen, gab ich mir Mühe.
»Nein. Nichts«, sagte ich und musste laut lachen. »Ich sehe nichts, es ist leer. Und warum fragst du mich das?«
»Nur so, aus keinem bestimmten Grund«, antwortete sie und schaute weg.
In dem Moment schob sich eine Wolke vor die Sonne und nahm diesem Nachmittag schon ein wenig von seiner Wärme. Wir rappelten uns auf, klopften uns das Moos und die Grashalme von der Kleidung und gingen den steilen Hügel hinunter zum Cottage.
Zur Abendbrotzeit forderte mein Vater Ann plötzlich auf, ihr Vorhaben dem Rest der Familie mitzuteilen. Ich hatte keine Ahnung, was er meinte. Ich sah Ann an. Sie hob den Kopf und starrte an die Rückwand des Raumes. Auf der Wange hatte sie eine lange, rote Schramme, die mir zuvor nicht aufgefallen war.
Sie sagte laut: »Ich gehe fort. Am Montag. Ich werde in Wiston House arbeiten.«
»Das kannst du nicht tun!«, stieß ich entsetzt hervor.
Sie wandte den Kopf ab und blickte ins Feuer, sodass ich die rote Schramme auf ihrer Wange nicht mehr sehen konnte.
Mein Löffel knallte auf den Tisch.
»Aber du hast nichts … du hast nichts gesagt!« Ich stand auf. »Den ganzen Nachmittag, es war so sonnig, und du hast nichts gesagt!« Ich versuchte, meine Wut zu zügeln. Wut darüber, dass Ann mich verließ, dass sie dazu in der Lage war.
»Wie konntest du das nur vor mir geheim halten?«, kreischte ich wie eine Irre und sah verzweifelt hinüber zu meiner Mutter. Ich zeigte mit dem Finger auf Ann, aber sie wandte mir immer noch nicht das Gesicht zu.
»Ich weiß nicht, warum du so aufgebracht bist, Aggie, Liebes«, sagte meine Mutter so leise, dass ich sie kaum verstehen konnte. »Solche Dinge passieren. Es ist, wie es ist. Iss deine Suppe auf.« Sie nickte in Richtung meiner halb leeren Schale und wischte Hester mit einem Tuch ein bisschen Brühe vom Kinn.
Hester fing an zu weinen, und ihr Mund war eckig vor Kummer.
»Du erschreckst die Kleinen, Agnes«, sagte mein Bruder Ab. Seine Stimme sagte mir, dass er ebenfalls zornig war. Williams Augen sahen riesig aus. Ich schämte mich. Schließlich sollte ich wissen, dass nichts, was ich sagen könnte, etwas an der Situation ändern würde. Der Löffel verschwamm vor meinen Augen, und die Flammen des Feuers wurden riesig und schwankend und blendeten mich, als ich die Tränen wegblinzelte und zurückdrängte.
»Du wirst morgen die Bohnen auf dem unteren Acker ernten«, sagte mein Vater in die folgende Stille hinein und fuhr sich mit dem Daumennagel zwischen den Zähnen herum.
»Bohnen?«, fragte ich zurück.
»Ganz genau.«
»Aber morgen ist Freitag!«, rief ich mit bebender Stimme. »Am Nachmittag habe ich meinen Unterricht.«
Mein Vater gab mir mit einem Achselzucken zu verstehen, dass ihm das gleich war. »Sie verderben sonst bei dieser
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