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Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)

Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Borodale
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Gründen auch immer. Trotz des Gewimmels um uns herum ertappe ich mich hin und wieder dabei, wie ich Mr. Blacklock von der Seite betrachte. Es ist seltsam, dass ein vertrautes Gesicht in einer neuen Umgebung so verändert erscheinen kann. Wie grimmig er die Menschenmenge mustert! Er wirkt größer ohne seine Arbeitsjacke. Stattdessen trägt er einen dunklen Gehrock aus Barchent über seiner Weste, und mir fällt auf, dass die Leute ihm aus dem Weg zu gehen scheinen. Sein langes Gesicht deutet darauf hin, dass er nicht entspannt ist – es sieht aus, als würden ständig Gedanken und Vorstellungen hinter seinen Augen explodieren. Sie sind fast zu dunkel, um etwas in ihnen lesen zu können, denke ich. Vielleicht ist es Absicht, weil er so viele Probleme hatte und in Ruhe gelassen werden will.
    Nachdem wir die erleuchteten Läden und Geschäfte hinter uns gelassen haben, geht das Tageslicht rasch in die Dämmerung über. Als wir St. James’ Square erreichen, fährt ein Wagen an uns vorbei. Die Pferdehufe klappern auf dem Straßenpflaster. Mr. Blacklock bleibt plötzlich stehen und klopft an eine Seitentür in einer hohen Mauer. Kurz darauf werden wir in den Garten eines großen Hauses eingelassen, das weiter hinten im Schatten liegt. Der Spaziergang hat mich ermüdet, und ich würde mich gerne setzen. Mein Bauch ist schwer und zieht an meiner Wirbelsäule, obwohl das Kind ganz still liegt und sich nicht rührt.
    Im Garten ist es kühl und ruhig. Die Luft ist in der frühen Dämmerung blau, Fledermäuse flattern herum und kreisen nichts ahnend um die große Abschussrampe, die ich gerade eben noch erkennen kann. Die Vorbereitungen sorgen für geschäftige Aufregung. Die schattenhaften Gestalten vieler Männer sind zu erkennen, Gemurmel ist zu hören, und das kurze Aufflackern einer Kerze erhellt ein Gesicht, bevor sie wieder verlöscht. Mr. Blacklock bedeutet mir kurz, mich hinzusetzen, und macht sich auf die Suche nach Mr. Torré. Die niedrige Mauer fühlt sich feucht an unter meinen Röcken, aber ich bin froh, mich ausruhen zu können. Ich reibe mir den Rücken, als Mr. Blacklock fort ist. Wie hungrig ich schon bin! Ein strahlender schmaler Viertelmond hängt über den Dächern.
    Die erste Raketensalve schreckt mich auf, und das Kind beginnt zu strampeln. Ich stehe auf.
    Es hat angefangen.
    Ich bin so nah dabei, dass ich das Zischen der Stoppine hören kann, während sie abbrennt und die Treibladung der Raketen zündet. Dann folgen der Knall der Explosion und schließlich das Zerplatzen in der Luft. Der Himmel ist mit Feuerspiralen, Fächern, Feuerschlangen und Rauch übersät. In den Pausen sehe ich gleißendes weißes Licht vor meinen Augen, und knisternd und prasselnd zerbricht der Himmel in Scherben. Ich zwinkere. Ich kann nicht atmen, weil das Weiße überall ist. Ich bin davon geblendet. Am Himmel leuchten rot-blaue Schatten, wenn das weiße Licht vergangen ist und eine Pause für die Dunkelheit entsteht. Der Qualm wirbelt herum. Dann fahren mehr Garben hinauf und bilden Bündel orangefarbener Funken, Sterne schießen heraus wie Punkte aus poliertem Licht, schweben dahin, halten an und fallen langsam, glatt wie Glas, in die Dunkelheit und verglühen. Die Welt besteht aus Feuer oder Dunkelheit, sonst nichts. Ein ersticktes Schluchzen bleibt mir in der Kehle stecken.
    Plötzlich taucht Mr. Blacklock aus der Dunkelheit auf. »Der Wasserfall!«, ruft er. Er ist riesig neben mir.
    Es ist wie ein schaumiger Strom aus Funken und Rauch, der die Abschussrampe hinunterfließt, als würde er nie mehr aufhören. Mein Gesicht ist heiß. Als ich zum Haus schaue, leuchten die Fenster weiß und spiegeln das Licht wider, als wäre das Haus voll Feuer. Im Ballsaal drängen sich hinter den Spiegelungen des Feuerwerks die weißen Gesichter der Gäste, die reglos dort stehen.
    Mr. Blacklock beugt sich zu mir herunter und sagt mir ins Ohr: »… Salpeter und Antimon.« Seine Stimme ist ganz nah und dröhnt in meinem Kopf. Ich nicke ihm sprachlos zu.
    »Tourbillons – Kreiselblitze!«, sagt seine Stimme. Mir ist schwindelig. Über uns rotieren wild die Kreiselblitze wie glitzernde Muskeln aus Feuer.
    Kanonenschläge explodieren krachend wie bei einem Sturmangriff. Das Kind in mir erstarrt vor Schock wegen des Lärms. Ich hätte gerne über meinen Bauch gestreichelt, aber ich wage es nicht. Stattdessen halte ich ihn fest mit den Händen umklammert, als wollte ich ihn vor den Lichtblitzen und Explosionen beschützen. Der

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