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Die Farm am Eukalyptushain

Die Farm am Eukalyptushain

Titel: Die Farm am Eukalyptushain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamara McKinley
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Schlüssel hinter der Uhr hervorzuholen. Er war klein und blinkte kalt im Mondlicht.
    Die geheimnisvolle Truhe zog Rosas Neugier an wie ein Magnet. Rosa zitterten die Knie, und sie ließ sich auf das Sofa fallen und betrachtete das rostige Metall und die verwitterten Ledergurte. Die Zeit verging, und die Chance, erwischt zu werden, wurde mit jedem Augenblick größer. Aber in gewisser Weise verstärkte das nur ihre gespannte Erwartung. Vielleicht würde sie nie wieder eine solche Gelegenheit bekommen.
    Das Haus ringsum war still, und die Bilder aus Tante Cats Geschichten erwachten zum Leben – lautlose, flüchtige Bilder von Zeiten und Orten, die Rosa nicht kannte und die doch so vertraut und einladend waren, dass sie ihnen nicht widerstehen konnte. Sie kniete vor der Truhe nieder und öffnete die Schnallen. Die Lederriemen fielen herab, und Rosa kämpfte mit dem Schlüssel im Vorhängeschloss. Endlich ließ er sich drehen, und der Deckel öffnete sich knarrend.
    Sie erstarrte und wartete auf ein Anzeichen dafür, dass sie entdeckt worden war. Aber sie hörte nur das vertraute Knacken und Ächzen des Hauses. Sie hockte sich auf die Fersen und betrachtete die Truhe.
    Dicke Stapel von Notenheften, alten Programmen und Publicity-Fotos lagen auf einem Mousselinetuch. Der scharfe Geruch von Mottenkugeln trieb Rosa Tränen in die Augen. Sie blätterte durch die Noten und legte sie zur Seite. Die Fotos waren professionelle Aufnahmen, manche schwarzweiß, manche in Farbe; sie zeigten Catriona ab dem zwanzigsten Lebensjahr bis zum Ende ihrer Karriere. Die Programme waren die gleichen, die auch in Catrionas Schreibtisch lagen; sie waren in zahlreichen Sprachen gedruckt und stammten aus der Scala in Mailand, aus Rom, Paris, Madrid, London, New York, Sydney und Moskau. Auch sie hatte Rosa schon gesehen; schnell legte sie sie beiseite.
    Unter den Programmen und anderen Papieren befanden sich Zeitungen. Sie waren fest zusammengerollt und mit Gummibändern umschlungen, die im Laufe der Jahre spröde geworden waren.Rosa warf einen Blick auf die Schlagzeilen. Die Abdankung des Königs, die Kriegserklärungen und die Krönung der Königin interessierten sie nicht, und sie legte alles auf den Boden. Mit zitternden Händen schlug sie behutsam das Mousselinetuch zurück.
    Die Kleider darunter waren alte Freunde für sie. Stück für Stück nahm sie sie heraus und erinnerte sich dabei an die Geschichten, mit denen sie verbunden waren. Das Ballkleid aus dunkelrotem Samt hatte Tante Cat getragen, als sie für ihr Porträt Modell gesessen hatte. Rosa zog es aus der Truhe und hielt es sich an. Noch immer stieg ein Hauch von Catrionas Parfüm und von Talkum aus dem Stoff. Sie legte es über die Armlehne des Sessels und nahm das nächste heraus. Es war aus violetter, mit blauen und grünen Fäden durchschossener Seide und hatte einen weiten Rock. Der Halsausschnitt war mit glitzernden Kristallen bestickt. Ein elegantes schwarzes Kleid kam als Nächstes. Tante Cat hatte gesagt, es sei von Dior, aber das interessierte Rosa nicht. Sie wollte den Brief finden.
    Noch ein Dior-Kleid, ein Chanel-Kostüm, ein Cocktailkleid von Balmain. Lange weiße Ziegenlederhandschuhe, sorgsam in Schnürbeutel verpackt. Schaumig zarte Spitzenunterwäsche zwischen Lagen von Seidenpapier. Rosa legte sie auf das Sofa, und ihr Herz schlug schneller, denn im Lampenlicht schimmerte das Hochzeitskleid, das sie nie hatte anprobieren dürfen. Auch jetzt wagte sie kaum, es zu berühren, denn es war das zarteste, schönste Kleid, das sie je gesehen hatte. Es war aus alter Spitze, die in zahllosen Volants von den Schultern bis zu den Füßen reichte – ein Wasserfall aus Zuchtperlen und Brillanten.
    Als sie es sich anhielt, war ihr, als höre sie Kirchenmusik, und fast konnte sie den Duft der Blumen riechen und die bebende Aufregung der jungen Braut spüren, mit der sie den Mittelgang hinaufschritt. Tante Cat muss sich an diesem Tag wie eine Königin gefühlt haben, dachte sie. Ich hätte es ganz bestimmt getan. Ob sie mir das Kleid leihen wird, wenn ich einmal heirate?
    Sie merkte, dass sie ihre Zeit verschwendete. Sie drapierte das Hochzeitskleid sorgfältig über die Sofalehne, griff wieder in die Truhe und nahm zierliche Satinschuhe und weiße Handschuhe heraus. Unter dem zarten Hochzeitsschleier entdeckte sie eine einzelne gelbe Rose. Die Blütenblätter waren welk und spröde, und der Duft war vergangen. Etwas an dieser zerbrechlichen Rose griff ihr ans Herz, und sie

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