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Die Feen - Hallmann, M: Feen

Die Feen - Hallmann, M: Feen

Titel: Die Feen - Hallmann, M: Feen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Hallmann
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das er nicht auch schon vorher gesehen hatte? Aber das konnte nicht sein. Zu eindeutig kannte er das Sausen in seinem Verstand, den Rausch, den das Entzücken der Windgeister in ihm auslöste. Nur war es hier in Schottland ungleich stärker als je zuvor, und seit er sie sah und hörte, kam ihm die frühere Euphorie beim Laufen vor wie ein schwaches Echo.
    Trotz der Windgeister lief Benny weiter, als ob nichts wäre, sagte nichts, zuckte mit keiner Wimper. Erstaunlich, wie schnell man sich an so etwas gewöhnte. Na, vielleicht war gewöhnen das falsche Wort, aber die Welt wankte nicht mehr, wenn er daran dachte, dass es mehr gab, als er noch vor kurzem gesehen oder gewusst hatte. Nur dann, wenn er allzu intensiv darüber nachdachte, dann wurde ihm schwindelig, und er griff nach irgendetwas Solidem, nach einer Mauer oder einem Holzzaun oder notfalls seiner eigenen Schulter, um sich davon zu überzeugen, dass er nicht träumte.
    Er beendete die Aufwärmrunden. Mister Bane winkte ihn zur Bank heran und fragte ihn, ob er Lust habe, an den Wettkämpfen teilzunehmen. Neill Graham, der es hörte, strahlte – die Frage war eine große Ehre, und er schien beschlossen zu haben, dass Benny seine Entdeckung sei und somit jede Ehre, die ihm zuteilwurde, auch auf ihn, Graham, abfärbte. Ihre Enttäuschung, als sie erfuhren, dass er dieses Jahr für jegliche Ausflüge und Wettkämpfe gesperrt war, überraschte ihn, und mehr noch, dass er selbst traurig darüber war.
    Trotzdem dachte er für den Rest des Tages kaum noch daran. Er dachte an Leslie. An dieses kleine, blasse Ding mit den prächtigen Ohren, das hinübergehen wollte in eine Welt, die er sich nicht einmal ansatzweise vorstellen konnte. Und an ein anderes Wesen, das dafür herüberkommen sollte. Ganz konnte er es nicht erfassen, nicht ganz begreifen, es kam ihm vor, als sei er in die Handlung eines Films verwickelt worden, dessen Schauspieler die Spezialeffekte und ihre Rollen ausgesprochen ernst nahmen. Und er dachte an heute Nacht. Vor allem an heute Nacht.
    Um halb elf, hatte sie gesagt. Um halb elf an der Brücke. Grau holt dich ab. Sieht so aus, als bräuchte ich dich doch.
    Nach dem Sport und nachdem er sich umgezogen hatte, war er allein auf dem Weg zur Werkstatt, zum Technikunterricht, den beiden letzten Stunden vor dem Mittagessen. Die Nähe des Moors bereitete ihm Unbehagen, jetzt, wo er ahnte, was sich dort herumtrieb, aber zugleich zog es ihn auch an.
    Zuerst hörte er die zerbrechliche Stimme nicht, die nach ihm rief, als er gerade durch den Durchbruch in der Mauer in die Gärten gehen wollte, die zu dieser Jahreszeit kahl und etwas trostlos wirkten, aber trotzdem sehr akkurat gepflegt.
    »Warte doch!«, drang es dann doch an sein Ohr. Überrascht drehte er sich um, sah aber nichts.
    »Hier unten!«, keuchte das Stimmchen. Benny schaute nach unten und sah ein winziges, staubbraunes Männchen in aberwitziger Geschwindigkeit an der Mauer emporklettern. Die Glieder waren lang und dürr, es hatte etwas Spinnenartiges an sich. »Heißt du Benny, oder?«, wollte es wissen, zog sich auf einen kleinen Vorsprung hinauf und schaute ihm etwa aus Brusthöhe ins Gesicht. Die Augen waren blank und neugierig.
    »Äh – ja«, sagte Benny und schaute sich um. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er den Kleinen von Rechts wegen eigentlich gar nicht hätte sehen dürfen.
    »Leslie schickt mich«, japste der Kleine. »Sie will mit dir sprechen. Sie sagt, du weißt schon, weshalb.«
    Vor Erleichterung stieß Benny einen tiefen Seufzer aus. »Leslie. Ja. Aber ich weiß doch schon Bescheid.«
    »Wirklich?« Die Augen des Kleinen wurden riesengroß, vor Schreck zuckte Benny zurück.
    »Oh!«, rief der Kobold, oder was immer es sein mochte. »Das ist sehr gut!« Er klatschte in die Hände. Dann schaute er sie nachdenklich an, als fielen sie ihm jetzt erst auf, und ballte eine davon zur Faust. »Konzentrieren«, mahnte er sich selbst. »Pass auf, pass auf, pass auf. Eins: Benny heißt er.« Einer der winzigen, langen Finger streckte sich. Verwundert betrachtete Benny ihn.
    »Zwei«, zählte der Kleine und streckte den zweiten Finger aus. »Leslie schickt mich.«
    »Das hast du schon gesagt«, half Benny aus und starrte das winzige Ding fasziniert an. Das war noch mal etwas anderes als die Windgeister. So nah und so wirklich. Er sah aus, als könne man ihn anfassen. Und vermutlich konnte man das auch. Sogar Kleidung trug er, wenn auch schäbige – zerfetzte kurze Hosen und ein Hemd.

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