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Die fernen Tage der Liebe

Die fernen Tage der Liebe

Titel: Die fernen Tage der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James King
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ins Haus kam.
    Die einzige Antwort drang aus dem Fernseher. Ihr Vater saß schlafend davor, die Pfeife im Schoß. Es machte ganz den Eindruck,
     und nun roch Marcy es auch, dass er sie erst vor kurzem geraucht hatte.
    Als sie ihn gerade an der Schulter berühren wollte, sagte jemand im Fernsehen: »Was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen,
     Bill?«
    Es war eine Talksendung im Stil von Jerry Springer. Marcy hatte nicht die geringste Ahnung, wer der Moderator war. Sie fragte
     sich, ob ihr Vater es wusste. Eigentlich fragte sie sich, ob er sich wohl jeden Tag solchen Mist anschaute. Bei »Bill« handelte
     es sich in diesem Fall um einen blässlichen, dürren und kahlgeschorenen Neonazi Mitte zwanzig. Auf den Stühlen ihm gegenüber
     saßen eine junge Schwarze, ein irgendwie jüdisch aussehender junger Mann und ein Priester.
    »Bill?«, fragte der Moderator.
    Was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?
Marcy stellte sich vor, wie sie selbst auf der Studiobühne saß, flankiert von Nick und Mike. Dann würde Jerry in die Kamera
     schauen und sagen: »Jetzt wollen wir mal Dads Version der Geschichte hören.« Ihr Alter würde in einem Chor aus Buh-Rufen die
     Bühne betreten. Die Kamera würde kurz auf ein paar bullige Security-Typen zoomen, die in Habachtstellung gingen für den Fall,
     dass die Menge die Bühne stürmte. Ihr Vater würde sich hinsetzen, und die Kamera würde jedes noch so kleine Zucken einfangen,
     während die Zuschauer ihn auspfiffen.
    »Und jetzt, Bill«,
würde Jerry salbungsvoll anheben wie ein Prediger kurz vor dem »Kommt zu Jesus«-Moment.
»Sie haben vernommen, was Ihre Kinder gesagt haben. In ihren Stimmen haben Sie ihre Herzenspein gehört, eine Pein, die auch
     all die Jahre nicht lindern konnten. Nun sind Sie an der Reihe. Ich werde Ihnen eine
einfache Frage stellen. Und Sie sind Ihren Kindern auch eine einfache, ehrliche Antwort schuldig. Dies ist Ihre Gelegenheit,
     ein für allemal alles aufzuklären, die Gelegenheit, Ihre Version loszuwerden. Und die Frage, Bill, ist ganz schlicht und einfach
     nur: Warum, Bill?«
    »Na los schon, Bill.«
    »Wir warten, Billy Boy.«
    »Was sagst du jetzt, Billy Boy?«
    »Was zum Teufel …?« Plötzlich sprang ihr Vater auf und wischte sich die Asche von der Hose. »Himmelherrgott noch mal, was
     fällt dir ein, dich so an mich ranzuschleichen?«
    »Entschuldigung«, sagte Marcy. »Du hast geschlafen. Ich wollte dich gerade …«
    »Was ist los?«, fragte er. »Geht es Marcy gut?«
    Gegen ihren Willen war Marcy gerührt von seiner Sorge und schob deshalb ihre Unruhe wegen der Namensverwechslung beiseite.
     »Der geht es gut, wie du siehst. Meintest du April?«
    »Du weißt schon, wen ich meine.«
    »Ich lasse es dich wissen, sobald ich mal wieder normal mit ihr reden konnte.« Marcy zog ihren Mantel aus und warf ihn auf
     die Zeitungen, die die Couch bedeckten. »Seit wann bist du denn ein Fan von Jerry Springer? Oder wer auch immer das sein mag?«
    »Ach! Stell das ab, sei so gut.«
    »Wie ich sehe, machst du brav und regelmäßig deine Hausarbeit«, bemerkte Marcy und wühlte in dem Durcheinander nach der Fernbedienung.
     Mit einer ausladenden Handbewegung dehnte sie ihre Analyse von den Zeitungsstapeln über die hingeworfenen Kartoffelchipstüten
     bis zu den schmutzigen Gläsern, Tassen und Bechern aus. Aber der Alte lehnte sich nur in seinem Sessel zurück und starrte
     die Unordnung um ihn herum teilnahmslos an.
    »Soll ich Kaffee machen? Oder hat das Gesundheitsamt die Küche abgesperrt?«
    »Hast du beschlossen, mir wegen der Sache mit April zu verzeihen?«
    »Nein.«
    »Na, dann wäre das ja schon mal geklärt. Also, was verschafft mir das Vergnügen?«
    Marcy schob ihren Mantel und einen Haufen Zeitungen beiseite, um sich auf der Couch Platz zu verschaffen. Sie rieb sich die
     Hände, weil sie nicht richtig begriff, warum ihr Puls so raste, warum der Anfang ihr so schwerfiel.
    »Raus damit«, forderte ihr Vater sie lächelnd auf.
    »Was?«
    »Du hast doch sonst nie Schwierigkeiten, mit deiner Meinung rauszurücken.«
    Wie wahr. Aber das hier war etwas anderes.
    »Hast du es noch mal bei Mike und Nick versucht, wie ich dich gebeten hatte?«, fragte er.
    Das
Wie ich dich gebeten hatte
war zu viel. Beinahe war Marcy ihm dankbar dafür.
    »Zwei Dinge«, sagte sie. »Erstens: Wenn du Nick und Mike sehen willst, dann wirst du sie schon selbst anrufen müssen. Bei
     Nick habe ich es schon versucht, wie ich dir bereits vor Monaten erklärt

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