Die fernen Tage der Liebe
Nirgendwo vor ihr auszudehnen schien.
Schwitzehändchen, Feuerbälle.
Feuerbälle.
Dabei fiel ihr der Tankwart ein. Hihi.
April fing so laut an zu lachen, dass sie schon befürchtete, anhalten zu müssen. Das brachte sie wieder zur Besinnung. Sie
würde erst anhalten, wenn der Tank leer war.
16
Unwillkürlich fand sich Marcy in Aprils Zimmer wieder. Wieder einmal war sie ziellos durchs Haus gewandert und hier gelandet,
wie so oft, wenn sie nicht abschalten konnte, wenn ihr die Augen brannten und die Beine nach Bewegung lechzten. Marcy war
schon oft allein daheim zu Hause gewesen, wenn April in der Schule war oder bei Freundinnen übernachtete, aber noch nie war
ihr das Haus so leer vorgekommen wie jetzt.
Sie stand am Fuß des ungemachten Bettes. Das Erste, was sie ihrer Tochter sagen würde, wenn sie wieder nach Hause kam, war:
»Marsch nach oben und Bett machen!« April würde es endlich begreifen. Sie würde erkennen, dass ihre Mom nicht eine von diesen
Übermüttern war, die nur noch für ihre Kinder existierten und bei der erstbesten Gelegenheit anfingen zu heulen. Sie würde
begreifen, dass es Regeln und Grenzen gab.
Die Schranktür stand offen. Aprils Sachen hingen willkürlich auf irgendwelchen Bügeln oder lagen in unordentlichen Stapeln
in den Fächern oder in farbenfrohen Haufen auf dem Boden. Auf ihrem Schreibtisch dagegen herrschte peinliche Ordnung. Die
Stifte steckten auf ihren Verschlüssen, die Schulhefte waren ordentlich in einer Ecke aufgestapelt, die Fotos – April mit
ihr am Strand, die kleine April mit Patrick vor ihrem Haus und ungefähr ein Dutzend Bilder von April mit ihren Freundinnen,
immer Wange an Wange – klebten in einer Art Collage an der Wand hinter ihrem Computerbildschirm. Die Tastatur und die Mauslagen wartend auf dem Schreibtisch. Es waren seit Jahren die einzigen Gegenstände, die Marcy in Aprils Zimmer angerührt hatte,
abgesehen von den Anziehsachen, in denen sie stets Ordnung schaffte, wenn sie frische nach oben brachte. Manches wäre wohl
anders gelaufen, wenn sie von der Maus und der Tastatur die Finger gelassen hätte. Aber es war schließlich ihre Pflicht gewesen.
Das jedenfalls redete sie sich immer wieder aufs Neue ein, wenn die Frage in ihrem Kopf auftauchte, also oft. Dass es sich
nicht lohnte, noch weiter darüber nachzudenken.
Aber sie machte es trotzdem.
Das, was sie getan hatte, war lediglich ihr gutes Recht gewesen. Schließlich war sie Aprils Mutter.
Marcy wandte sich zum Gehen. Vielleicht sollte sie hier mal ein bisschen sauber machen, als eine Art Willkommensgruß für den
Tag, an dem April wiederkam.
Nein. Damit belohnte sie Aprils schlechtes Benehmen ja auch noch.
Viel besser war es, fiel ihr ein, wenn sie die Bude verwüstete. Das Bett abzog, die Matratze hochkant stellte, den Computerbildschirm
aus dem Fenster warf und alle Poster abriss.
Diese Poster! Diese verfluchten Poster!
Marcy sah hoch zur Decke, wo das Plakat hing, das sie am meisten verabscheute: dieser dürre Widerling, der sich die Gitarre
zwischen die Beine hielt, während die Schlampe von Sängerin den Gitarrenhals umfasste, als sei es ein Schwanz. Warum in Teufels
Namen hatte sie nur zugelassen, das es da oben hängen blieb, wo April es auch noch vom Bett aus ansehen und sich in aller
Seelenruhe den Floh ins Ohr setzen lassen konnte, was für einen Spaß diese Typen hatten, wie reich sie waren, wie populär
und in Ordnung Drogen waren und eine lockere Sexualmoral. Selbstverständlich hatte April ihr widersprochen und gefragt,woher sie denn überhaupt wisse, dass die zwei auf Sex und Drogen standen. Soweit sie wisse, sei
Don’t Care
eine christliche Band.
Umso mehr Grund für die Annahme, dass sie auf Sex- und Drogenorgien standen, hatte Marcy ihr geantwortet und gefragt, ob sie
denn noch nie etwas von Jimmy Swaggard oder Jimmy Bakker oder diesen ganzen anderen frommen Knilchen gehört habe.
Aber es war nicht jener Streit, der zu der jetzigen Situation geführt hatte. Der Streit, auf den alles zurückging, hatte wie
so viele heftige Auseinandersetzungen völlig unerwartet begonnen. Am Tag nach der Ohrfeige dachte Marcy noch einmal über das
erste und einzige Mal nach, wo sie ihr Kind je geschlagen hatte. April hatte im Familienzimmer ferngesehen, während Marcy
saubere Sachen in Aprils Kleiderschrank räumte. Als sie das Schlafzimmer schon verlassen wollte, sah sie, dass April ihren
Computer angelassen hatte und das
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