Die Festung des Teufels
Stier. Und dann würde Blut fließen.
13
D er Tod war ein Vakuum. Für eine Nanosekunde herrschte drückende Stille. Es war so still und ruhig wie in einer Krypta, tief unter der größten und ältesten Kirche vergraben, die man sich vorstellen konnte. Ein Ort, so abgeschieden, dass man nicht einmal eine Million Menschen, die gleichzeitig losschrien, hören würde. Nicht die kleinste Luftbewegung. Gedanken existierten nicht. Empfindungen hatten sich zu solcher Flüchtigkeit verkürzt, dass man sie nicht mehr wahrnahm.
Und dann schleuderte ihn ein Donner ins Leere, jäh wie eine wütende Woge, die sich an einem flachen Felsriff brach.
Als Max’ Herz stehen blieb, hallte sein Geist in seinem Bewusstsein nach, wanderte jenseits von Licht und Schall, als suchte er nach einer Öffnung im unendlichen Raum, einer Verbindung zu dem – was auch immer in dem großen Unbekannten wartete.
Stellare Lichtexplosionen, als ob das herrlichste Feuerwerk, das man an einem matten Himmel sehen kann, mit einem Mal in sich zusammenfiel und zu narbigen schwarzen Pünktchen wurde, die dann auch ganz plötzlich verschwanden, bis … nichts mehr war.
Sein Gehirn teilte Max mit, dass er unterging, dass er gestürzt war, denn jetzt glaubte er, durch ein unsichtbares Kraftfeld zu sinken. Keine Zeit zu überlegen, keine Gelegenheit, sich daran zu erinnern, dass er einmal gelesen hatte, beim Sterbentreffe der Mensch auf Seelen, die ihn willkommen heißen, die himmlische Melodien singen, ihre Hände ausstrecken und ihn vorwärts und hinauf geleiten. Für ihn war dies hier eine Wildwasserfahrt in einem schwarzen Meer der Angst.
Sein Überlebenstrieb kämpfte gegen diese überwältigende Empfindung, doch wie beim Ertrinken kam der Moment, wo er sich nicht mehr wehren konnte, und so gab er schließlich auf. Es war ein Moment, in dem er schlagartig die Angst verlor, unglaublich ruhig wurde. Er schwebte, und eine wunderbare Wärme hüllte ihn ein. Er spürte keinen Schmerz mehr, keine Angst, er hatte nur den einfachen Wunsch, im Trost und in der Sicherheit dessen zu baden, was ihn so beruhigte. In diesem Moment des Aufgebens berührte ihn das Gesicht seiner Mutter, ihre Hand streichelte ihm die Wange, ihre Lippen küssten seine Augenlider, er roch ihr Haar, und ein Flüstern teilte ihm mit, dass er geliebt wurde. Dass sein Schmerz vorbei war. Dass er schlafen konnte. Dass sie immer bei ihm sein würde. Immer bei ihm war.
Der Nachhall einer Erinnerung an das, was seine eigene Stimme gewesen war, rief sie leise an: Mum, du hast mir so gefehlt … Ich hab dich lieb, Mum … Ich wusste, dass du gar nicht tot bist … Ich wusste es … Können wir jetzt nach Hause gehen?
Es gab keine Antwort. Die sanfte Nacht trug alles davon, und ließ Max still und reglos zurück wie ein tiefes unterirdisches Wasserloch.
Zeit gab es im Tod nicht. Max verweilte in der Dunkelheit, bis irgendetwas flackerte. Feuerfetzen, dann helleres Licht, eine Flammenpyramide. Schatten durchbrachen die glühende Hitze. Gedämpfte Laute, ein Gesang, der anschwoll und wieder abebbte.
Der Schamane tauchte die Finger in einen Beutel mit zerriebenen Kräutern, deren Herkunft nur ihm bekannt war. Dann schob er sie Max mit Gewalt in den Mund, wo die klebrige Masse sich an seinen Gaumen legte, ihm unter die Zunge und durch die Speicheldrüsen drang, Eingang in seinen Organismus fand. Alle traten zurück, als der Schamane eine Hand auf Max’ Herz und die andere auf seinen Bauch legte. Als Max’ Herz zu schlagen aufhörte, zog der Schamane eine große Antilopenhaut über sie beide, und glitt mit Max in die Dunkelheit darunter.
Binnen zwei Minuten kam Max’ Herz, mühsam stotternd wie ein alter Motor, wieder in Gang. Bakoko, der Schamane, der Gestaltwandler, zwängte Max ein flüssiges Gebräu durch die Kehle. Max würgte heftig, erbrach sich und schlief schließlich ein, wie ein Kind von den Armen des weisen Greisen vorsichtig gehalten.
Über zwölf Stunden später öffneten sich Max’ Augen. Das Sternenzelt begrüßte ihn, und hagere Schatten sangen und schlurften im Kreis um ein großes Feuer. Zwei Männer hielten Max bei den Schultern, zwei andere seine Arme und Beine, darunter auch !Koga. Dann ballte der Schamane die Faust und setzte sie auf Max’ Unterbauch. Drückend und bohrend arbeitete er sich bis unter das Brustbein hinauf, und Max spürte einen Knoten, der zu einem kompakten Ball aus Kraft wurde. Der stieg aufwärts, durch seinen Bauch und in seine Lungen und sein
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