Die Feuer des Himmels
sanften Züge der Jugend abgemildert. Wenn sie kalt und objektiv urteilte, dann war sie jetzt etwas hübscher als zu ihrer Mädchenzeit, und das größte Kompliment, das sie damals gehört hatte, war, sie sei hübsch. Häufiger allerdings hatte man sie lediglich als apart bezeichnet. Irgendwie konnte sie keine echte Verbindung von diesem Gesicht zu ihr, zu Siuan Sanche, herstellen. Tief im Innern war sie dieselbe und in ihrem Verstand ruhte nach wie vor alles Wissen. Nur dort, in ihrem Kopf, war alles gleich geblieben.
Einige der Schenken und Tavernen in Lugard trugen Namen wie ›Zum Schmiedehammer‹, oder ›Zum Tanzbär‹, oder ›Zum silbernen Schwein‹. Manchmal waren die Schilder dazu genauso schreiend auffällig wie die Namen selbst. Andere führten sogar Namen, die man nicht hätte genehmigen dürfen. Der ›anständigste‹ unter jenen war noch ›Der Kuß des Domanimädchens‹. Dazu gehörte die Abbildung einer Frau mit kupferfarbener Haut und Schmollmund, die bis zur Hüfte nackt war! Siuan fragte sich, wie Leane das aufnehmen würde, aber so, wie sich die Frau jetzt benahm, fühlte sie sich vielleicht noch davon angeregt.
Schließlich durchschritt sie von einer Seitenstraße aus, die genauso breit war wie die Hauptstraße, eine Öffnung in einer der halb eingestürzten Innenmauern und fand dort die Schenke, nach der sie gesucht hatte. Drei aus grobem Naturstein erbaute Stockwerke trugen ein Dach mit lila Ziegeln. Auf dem Schild über dem Eingang war eine unwahrscheinlich üppige Frau abgebildet, die nur ihr langes Haar trug und mehr oder weniger alles zeigte. Sie ritt ohne Sattel auf einem Pferd. Den Namen überging sie schnell, kaum daß sie ihn gelesen und wiedererkannt hatte.
Der Schankraum drinnen war blau vom Tabaksqualm und voll von ausgelassenen Männern, die tranken und wild lachten und versuchten, die Bedienungen ins Hinterteil zu kneifen. Die wichen aus, so gut es ging, und antworteten mit müdegeduldigem Lächeln. Über dem Lärm war die Musik kaum hörbar. Eine Zither und eine Flöte begleiteten den Gesang einer jungen Frau, die auf einem Tisch ganz am Ende des langen Raums tanzte. Gelegentlich ließ sie dabei den Rock so hoch wirbeln, daß die ganze Länge ihrer nackten Beine sichtbar wurde. Was Siuan vom Text ihres Liedes verstehen konnte, ließ sie wünschen, dem Mädchen den Mund mit Seife auszuwaschen. Warum sollte eine Frau unbekleidet herumlaufen? Warum sollte eine Frau einem Haufen betrunkener Kerle darüber noch vorsingen? Sie hatte sich noch nie in einer solchen Umgebung befunden. So beschloß sie, den Besuch hier so kurz wie möglich zu gestalten.
Die Eigentümerin der Schenke war unschwer zu erkennen: eine große, schwere Frau in einem roten Seidenkleid, das teilweise zu glühen schien, dazu kunstvoll gedrehte und gefärbte Locken - die Natur hatte diesen Rotton niemals hervorgebracht und bestimmt auch nicht in Verbindung mit solch dunklen Augen -, doch ihr Kinn stand hervor, und die Mundpartie war ausgesprochen hart. Sie rief den Bedienungen immer wieder Anweisungen zu, und dazwischen blieb sie an diesem oder jenem Tisch stehen, sprach hier ein paar Worte oder klatschte einem Gast auf die Schultern oder lachte mit ihnen.
Siuan bewegte sich dagegen steif und bemühte sich, die abschätzenden Blicke der Männer zu ignorieren, während sie sich der Frau mit den hochroten Haaren näherte. »Frau Tharne?« Sie mußte den Namen dreimal wiederholen, und jedesmal lauter, bis die Wirtin sie endlich anblickte. »Frau Tharne, ich brauche eine Anstellung als Sängerin. Ich kann... «
»Tatsächlich, könnt Ihr das?« Die massige Frau lachte. »Tja, ich habe wohl eine Sängerin, aber ich kann durchaus noch eine gebrauchen, um ihr eine Pause zu gönnen. Laßt mich mal Eure Beine sehen.«
»Ich kann das ›Lied der Drei Fische‹ singen«, sagte Siuan laut. Das mußte doch wohl die richtige Frau sein, oder? Sicher hatten keine zwei Frauen in der gleichen Stadt Haare wie diese und trugen den richtigen Namen in der richtigen Schenke?
Frau Tharne lachte noch schallender und klatschte einem der Männer am nächsten Tisch so auf die Schulter, daß es ihn beinahe von der Sitzbank warf. »Das wird hier ziemlich selten gewünscht, eh, Pel?« Pel, der große Zahnlücken aufwies und eine Kutscherpeitsche um die Schulter gewickelt hatte, gackerte mit ihr um die Wette.
»Und ich kann auch noch ›Blauer Morgenhimmel‹.«
Die Frau wurde richtiggehend durchgeschüttelt, und sie mußte sich die
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