Die Feuer des Himmels
lockergelassen, über Nynaeves eigene Fehler zu sprechen, sie in die Enge zu treiben. Ganz gleich, wie sie sich auch über Nynaeve aufregte: sie hatte es nicht fertiggebracht, sie auch nur einmal anzuschreien. Und mit dieser Taktik hatte sie tatsächlich die Oberhand gewonnen!
Wenn sie es recht bedachte, dann erhob Moiraine nur selten ihre Stimme, und wenn sie es tat, war es nicht so wirkungsvoll, und sie erreichte meist nicht, was sie eigentlich wollte. Das war schon so gewesen, bevor sie sich Rand gegenüber so eigenartig zu benehmen begann. Die Weisen Frauen schrien auch niemals jemanden an -höchstens gelegentlich sich gegenseitig -, und trotz all ihrer Beschwerden, daß die Häuptlinge nicht mehr auf sie hörten, schienen sie doch zumeist zu bekommen, was sie wollten. Es gab da ein altes Sprichwort, das sie früher nie richtig verstanden hatte: ›Er bemüht sich, ein Flüstern zu hören, obwohl er sich weigert, einen Schrei wahrzunehmen. ‹ Sie würde Rand nicht mehr anschreien. Eine ruhige, feste, frauliche Stimme, das war das Richtige. Und was das betraf, würde sie auch Nynaeve künftig nicht mehr anschreien, denn sie war eine Frau und kein kleines Mädchen mehr, das noch Trotzanfälle bekam.
Sie ertappte sich beim Kichern. Gerade bei Nynaeve sollte sie die Stimme nicht mehr erheben, wenn doch die ruhige Art solche Resultate hervorbrachte.
Das Zelt erschien ihr endlich warm genug, und so kroch sie unter den Decken hervor, um sich anzukleiden. Nachdem sie sich mit fast zu Eis gefrorenem Wasser den Schlaf aus dem Gesicht gewaschen hatte, legte sie sich den dunklen Wollumhang um und löste die Stränge aus Feuer, denn Feuer war zu gefährlich, wenn man es unbeaufsichtigt gebunden zurückließ. Als die Flammen verschwanden, duckte sie sich und trat aus dem Zelt. Die Kälte umschloß sie wie eine eisige Hand, während sie durch das Lager eilte.
Nur die nächstgelegenen Zelte waren zu sehen. Die schattenhaften Umrisse hätten auch ein Teil der hügeligen Landschaft sein können, doch das Lager erstreckte sich meilenweit nach allen Seiten in das Bergland hinein. Die hohen, zerklüfteten Gipfel waren jedoch noch nicht das Rückgrat der Welt; das war viel höher und lag noch Tage weit entfernt im Westen.
Zögernd näherte sie sich Rands Zelt. Die Klappe stand ein klein wenig offen, und Licht fiel heraus. Als sie näher kam, schien eine Tochter des Speers aus dem Boden hervorzuwachsen. Auf ihrem Rücken hing ein Hornbogen, der Köcher an der Hüfte, und in den Händen hielt sie Schild und Speere. Egwene konnte keine weiteren mehr in der Dunkelheit ausmachen, aber sie wußte, daß noch mehr Wächterinnen das Zelt umstanden, selbst hier in einem Lager von sechs Clans, die alle dem Car'a'carn Treue geschworen hatten. Die Miagoma befanden sich irgendwo im Norden und marschierten parallel zu ihnen. Timolan sagte noch nicht, was er beabsichtigte. Rand schien es gleich zu sein, wo sich die übrigen Clans aufhielten. Seine ganze Aufmerksamkeit galt dem Wettlauf zum Jangai-Paß.
»Ist er wach, Enaila?« fragte sie.
Mondschatten schoben sich über das Gesicht der Tochter, als sie nickte. »Er schläft nicht genug. Auch ein Mann kann doch nicht ohne Schlaf auskommen.« Ausgerechnet sie klang wie eine Mutter, die sich Sorgen um den Sohn macht.
Ein Schatten neben dem Zelt rührte sich und wurde zu Aviendha. Sie hatte sich den Schal umgewickelt. Die Kälte schien ihr nichts auszumachen, wohl aber die späte Stunde. »Ich würde ihm ein Schlaflied singen, wenn ich glauben könnte, daß es wirkte. Ich habe davon gehört, daß Frauen eines Kindes wegen die ganze Nacht durchwachen müssen, aber ein erwachsener Mann sollte eigentlich wissen, daß andere lieber schlafen möchten.« Sie und Enaila lachten leise.
Egwene schüttelte den Kopf über das seltsame Aiel-Gebaren und bückte sich, um durch den Spalt zu spähen. Mehrere Lampen beleuchteten das Innere. Er war nicht allein. Nataels dunkle Augen wirkten abgespannt, und er unterdrückte ein Gähnen. Er zumindest sehnte sich nach Schlaf. Rand lag ausgestreckt neben einem der vergoldeten Lampenständer und las in einem zerfleddert wirkenden ledergebundenen Buch. Die eine oder andere Übersetzung der Prophezeiungen des Drachen, falls sie ihn noch gut genug kannte. Mit einemmal blätterte er zurück, las und lachte lauthals. Sie versuchte, sich einzureden, daß an diesem Lachen nichts Wahnsinniges festzustellen sei, höchstens Bitterkeit. »Ein schöner Witz«, sagte er zu
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