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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuseppe Furno
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»Dort, wo es hell ist«, fügte er hinzu.
    Sofia, die eine vertraute Stimme hörte, schien ihre Umgebung bewusster wahrzunehmen und blickte Bernardo an.
    »Sofia, sieh mal, wer dich besuchen kommt!«, sagte die Äbtissin im zärtlichen Ton einer Mutter, die mit ihrem kleinen Mädchen spricht. »Messer Loredan, dein Anwalt.«
    Langsam wanderte Sofias Blick zu Andrea, während die Nonne sie zu einem der Stühle bei den Fenstern führte.
    »Setzt Euch bitte, Signora«, sagte Bernardo.
    Sie setzte sich. Der Arsenalotto hatte sich auf seine Rolle vorbereitet, also zog er eine weiße Feder aus seiner Tasche und hielt sie Sofia vor die müden, erloschenen Augen.
    »Schaut auf diese Feder«, sagte er.
    Sofia blickte ihn verwirrt an.
    »Folgt der Bewegung mit den Augen, bitte.« Bernardo bewegte die Feder. Sofia reagierte nicht. Dem Arsenalotto gab es einen Stich ins Herz, er sah Andrea an, dann die Äbtissin. Es war offensichtlich, dass er nicht mehr weiterwusste.
    Andrea, der spürte, wie die Spannung wuchs, wartete nicht länger und ging ein paar Schritte auf die beiden zu. Er hoffte, dass die Äbtissin ihm nicht folgen würde.
    Jetzt drehte Sofia sich zu Andrea um, und ihre Lippen öffneten sich: »Andrea   …«, sagte sie mit hauchdünner Stimme.
    Das nur leise gehauchte Wort erregte dennoch die Aufmerksamkeit der beiden Nonnen.
    Sofia hatte inzwischen eine Hand gehoben und Andreas Gesicht berührt. »Andrea   …«, begann sie wieder und fragte verwirrt: »…   bringt Ihr mich fort?«
    Alles geschah in wenigen Augenblicken. Andrea sah nur, wie die Miene der Äbtissin sich schlagartig verhärtete. Im selben Moment sah er aus dem Augenwinkel, dass Bernardo sich zwischen ihn und die Nonnen stellte. Also legte er einen Arm hinter Sofias Rücken, den anderen unter ihre Beine und hob sie hoch. Dann stürzte er mit ihr rückwärts zur Tür.
    Krachend stieß er gegen die beiden Flügel, die nachgaben.Der Aufprall war so stark gewesen, dass er sich um sich selbst drehte und beinah das Gleichgewicht verlor.
    »Hier entlang, schnell!«, rief Bernardo und packe ihn am Ärmel.
    »Sakrileg!«, begann die Äbtissin zu schreien. Aus dem Refektorium kamen die ersten Nonnen. »Läutet Sturm! Läutet Sturm!«
    Andrea rannte, Sofia fest an sich gedrückt, und saugte Luft ein wie die Öffnung eines Ofens. Bernardo lief ihm ein paar Schritte voraus und wies den richtigen Weg: Aus dem Kreuzgang kamen sie in den großen Garten im Osten und verschwanden zwischen Artischockenpflanzen und Heilkräutern. In der Luft dröhnten die rasenden Schläge der Sturmglocke. Dann die Schreie.
    Aus einem Häuschen hinter dem Obstgarten, das sich wie ein Wachturm in die hohe Palisade um den Garten einfügte, kam ein Junge heraus, der den Nonnen bei schweren Arbeiten half. Kurz danach erschien auch ein Mann mittleren Alters. Der baumlange Junge blieb erstaunt und unsicher stehen. Sein Vater, der eine Mistgabel ergriffen hatte, riss ihn aus seiner Erstarrung.
    Die Boote lagen hinter der Öffnung im Palisadenzaun, halb auf dem Sand. Bernardo ergriff den Bug der Mascaréta und zog ihn zu sich. »Schnell, steigt ein!«
    Ohne zu zögern, watete Andrea bis zu den Waden ins Wasser, setzte Sofia sanft auf die Wegerung in der Mitte des Bootes, deckte sie mit einer Wolldecke zu und sagte: »Wir bringen dich weg.«
    Sie sah ihn nur verwirrt an. Bernardo drehte sich gerade noch rechtzeitig um. »Achtung!«, konnte er nur noch rufen, da packte der Junge, der aus dem Garten gekommen war, Andrea bereits und stieß ihn mit solcher Gewalt zur Seite, dass dieser stolperte und ins Wasser fiel. Dann warf der Junge sich mit Gebrüll und ausgestreckten Armen auf Bernardo. Die beiden prallten gegeneinander wie Stiere, die Kopf an Kopf die Hörner kreuzen. Sie waren ungefähr gleich groß, keiner konnte über den anderen obsiegen.
    In der Öffnung der Palisade erschien nun der Vater mit gezückter Mistgabel, entsetzt keuchend beobachtete er das Geschehen. Bevor er sich auf Bernardo stürzen konnte, um ihn im Rücken zu treffen, ergriff Andrea das Ruder seiner Mascaréta und lenkte den Stoß ab. Der Dreizack aus Eisen bohrte sich in ein Schilfbüschel, doch der Mann zog ihn schnell wieder heraus und schwenkte ihn wütend gegen Andrea. Mistgabel gegen Ruder.
    »Hört auf, im Namen Gottes!«
    Der Schrei der Äbtissin kam vom Ufer her, wo die Ordensfrau und ihre Mitschwestern sich mit bestürzten Mienen in der Öffnung der Palisade drängten, ohne recht zu wissen, was sie tun

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