Die Feuerkämpferin 02 - Tochter des Blutes
glaubte er, etwas beweisen zu müssen. Nachts studierte er noch eifriger als zuvor, und tagsüber hielt er sich an einen strengen Verhaltenskodex, den er sich auferlegt hatte. Er musste auf alles eine Antwort wissen, so verlangte er es von sich, musste immer lückenlos vorbereitet sein und durfte sich nicht die kleinste Unsicherheit erlauben.
»Wie alt sind diese Informationen?«, fragte einer der Ratgeber.
Kalth nahm das Pergament fest in die Hand. Es gab ihm Sicherheit, die Worte seiner Großmutter praktisch fühlen zu können. »Zwei Tage. Die Königin unterrichtet mich fast täglich über den Stand der Dinge.«
Einige Augenblicke versunkenes, zweifelndes Schweigen, dem Kalth entschlossen ein Ende machte.
»Ich denke, die von der Königin angewandte Taktik ist in unserer Lage das Beste, was wir tun können. Ein Guerillakrieg ist im Moment unsere einzige Chance, und ich bin sicher, bald werden die gezielten Anschläge Wirkung zeigen. Vorgestern erst wurde ein Trupp Elfen seiner Anführer beraubt: Im Augenblick verfügt die fünfzigköpfige Einheit weder über Generäle noch über Offiziere. Die Soldaten sind allein und wahrscheinlich verwirrt. Unser Angriff müsste morgen vor Tagesanbruch erfolgen.«
Wieder Schweigen.
»Noch Fragen?«
Niemand hob den Blick.
»Dann beende ich die Beratung. Wir sehen uns in drei Tagen wieder. Dann müsste auch eine Antwort aus der Untergetauchten Welt eingetroffen sein.«
Auch dies war seine Idee gewesen. Soldaten für den Krieg und Heilpriester zur Bekämpfung der Seuche als Gegenleistung für Handelserleichterungen und wirtschaftliche Hilfe, wenn der Notstand überwunden sein würde. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Untergetauchte Welt weitgehend autark gewesen, doch in jüngster Zeit hatte es dort ein explosionsartiges Bevölkerungswachstum gegeben, das die Wirtschaftsleistung dieses Reiches an seine Grenzen brachte. Eine Lockerung der strengen Abschottung schien die einzige Lösung, nicht zuletzt weil auch die sozialen Spannungen sprunghaft zunahmen.
Wortlos verließen die drei Männer nacheinander den Raum, und Kalth war wieder allein. Einige Augenblicke blieb er noch im schummrigen Fackellicht am Tisch sitzen.
Gern hätte er sich etwas entspannt, eine Weile an gar nichts gedacht, aber die Maske, die er trug, passte so genau, dass er sie nicht mehr auf Kommando ablegen konnte. Nur seine Finger, die sich um die Pergamentrolle krampften, verrieten die Furcht, die auch ihm zusetzte.
Er stand auf und ging hinaus.
»Majestät?« Der Adjutant vor der Tür erwartete seine Befehle. Majestät , so hatte ihn bis vor kurzem nie jemand angesprochen. Für alle war er nur der kleine Prinz gewesen. Aber dann hatte er selbst verlangt, dass man ihn wie einen König behandelte, denn er wusste, Macht vermittelte sich auch durch eine Reihe unverzichtbarer Rituale, die den Untergebenen die Ehrfurcht eingaben, die zum Herrschen notwendig war.
»Ich ziehe mich zurück«, sagte er, »bereitet das Nachtlager vor.«
Es war schon lange her, dass seine Mutter ihn abends zu Bett gebracht hatte. Ach, seine Mutter … Wie immer um diese Stunde machte er sich auch jetzt zu ihrem Gemach auf. Wie gern hätte er ihr eine gute Nachricht überbracht, zumindest einen Hoffnungsschimmer, der ihr geholfen hätte, dieses quälende Warten zu ertragen. Doch die Kundschafter seiner Großmutter hatten ihm vorhin noch Bericht erstattet und erklärt: nichts, keine Spur. Amina schien wie vom Erdboden verschwunden, und Kalth wusste, dass dies für seine Mutter womöglich schlimmer als eine Todesnachricht war. Die Unsicherheit gab Raum für die grausamsten Alpträume, die seine Mutter fast um den Verstand brachten. Für ihn selbst war es immerhin ein Trost, dass seine Schwester mit Adhara
aufgebrochen war. Dass dieses Mädchen etwas ganz Besonderes an sich hatte, war ihm auf Anhieb klar gewesen, und dies hielt seine Hoffnungen wach.
Der Palast war beängstigend leer. Wie eine Vorahnung des Todes dröhnte ihm diese Stille in den Ohren, und so versuchte er, sich ganz auf das Geräusch seiner Schritte zu besinnen. Geschwind, wie gehetzt, durchquerte er die Flure, so als drohe ihm Gefahr aus dem gespenstischen Dunkel jenseits des Fackellichts, so als befürchte er, angesprungen und zerfleischt zu werden. Auch wenn sein Verstand ihn immer wieder vom Gegenteil zu überzeugen versuchte, es war nichts zu machen: Er hatte Angst. Er war gerade erst den Kinderschuhen entwachsen, und eine warme mütterliche Umarmung hatte
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