Die Feuerkämpferin 03 - Im Land der Elfen
schauten sich alles an und legten dort Blumen nieder. Die Erinnerung an Nihal war in der Aufgetauchten Welt immer lebendig geblieben.
»Das ist wirklich das Haus, in dem Nihal aufwuchs, der Fußboden, über den sie als kleines Mädchen gelaufen ist?«, flüsterte Amina.
Baol nickte. »Ja, diese Mauern haben Nihal aufwachsen sehen, vor langer, langer Zeit.«
In dem Raum herrschte völliges Chaos. Alle Gerätschaften waren umgestürzt worden, die Nachbildungen von Livons Schwertern lagen zerbrochen am Boden: die Schmähung des Andenkens einer Heldin, die die Elfen verachteten. Amina überlegte, dass Nihal kaum älter als sie selbst gewesen war, als sie in diesem Raum zwei Fammin tötete, die ihren Vater erschlagen hatten. Sie ließ den Blick über den Boden schweifen, so als suche sie die Blutspuren von damals. Baol riss sie aus ihren Gedanken, indem er sie auf etwas aufmerksam machte.
Auf einem Bett in dem angrenzenden Raum lag ein Elf. Er schien tief und fest zu schlafen, ein Zeichen, dass
der Zauber gewirkt hatte. Baol machte sich an der Tür zu schaffen und versperrte sie mit einem schweren stählernen Schloss, damit der Elf, wenn er erwachte, ihnen nicht folgen konnte. Dann bewegte er sich rasch in den hinteren Teil des Raumes, griff zu einem Holzhammer, der am Boden lag, und schlug damit einmal fest gegen eine bestimmte Stelle an der Wand, die sich sofort einen Spalt weit öffnete. Den stieß er vorsichtig mit den Händen weiter auf, darauf bedacht, so wenig Lärm wie möglich zu machen.
Da hörten sie Schritte draußen vor der Tür. Sie mussten sich beeilen.
Baol zwängte sich durch die Öffnung, und Amina folgte ihm. Sie befanden sich in einem Geheimgang, der die ganze äußere Stadtmauer umlief, und so schnell sie konnten, hasteten sie gebückt hinauf. Ihnen blieb wenig Zeit. Jedes Zögern konnte den sicheren Tod durch Kryss’ Männer bedeuten.
Der Gang endete in einem Raum mit einem niedrigen Dach und einer kurzen Wendeltreppe in einer Ecke.
»Ich gehe vor«, sagte Baol und zog den Dolch.
Vorsichtig stieg er die Treppe hinauf, und Amina folgte dicht dahinter, mit gezückter Waffe, die leicht in ihrer Hand zitterte.
Nach ein paar Stufen erreichten sie eine hölzerne Falltür, die durch einen verrosteten Riegel verschlossen war. Als Baol ihn zurückschieben wollte, ließ er sich nicht bewegen. Wieder holte er sein Werkzeug hervor und machte sich daran zu schaffen. Immer nervöser wurden seine Bewegungen, das Ganze schien länger zu dauern, als er erwartet hatte.
»Verdammt noch mal, es geht nicht, das Ding ist verrostet«, fluchte er.
Der Geheimgang, den sie gerade durchquert hatten, wurde von den Stadtältesten bei Gefahr als Fluchtweg benutzt und führte deswegen direkt an ihren Häusern entlang. In einem von diesen hatte jetzt sicher der Statthalter sein Quartier aufgeschlagen, den Kryss eingesetzt hatte, als er wieder zur Front aufgebrochen war. Daher würde es in diesem Bereich von Wachen nur so wimmeln.
Baol blickte Amina an, und ihr gefror das Blut in den Adern. Zum ersten Mal wurde ihr bewusst, dass diese Mission nicht nur sie selbst betraf, wie sie sich bisher vorgemacht hatte. Noch ein anderer Mensch setzte für ihre Sache sein Leben aufs Spiel. In diesem Moment geriet ihre Sicherheit ins Wanken, und sie verstand die ganze Bedeutung der Worte, die Baol kurz vor ihrem Aufbruch zu ihr gesagt hatte: Für eine Umkehr war es zu spät.
Das Klacken des zurückspringenden Riegels und das Quietschen der aufgehenden Falltür unterbrachen den Fluss ihrer Gedanken. Baol stemmte sich durch die Öffnung, und sie folgte ihm.
Anfangs hatten sie den Eindruck, dass niemand da sei. Sie standen auf einer Art rundem Platz, von dem verschiedene, völlig gleich aussehende Türen abgingen. Zu einer Seite sahen sie eine Treppe: der Zugang zur Aussichtsterrasse.
Dort oben ist meine Großmutter , dachte Amina mit einem Schaudern.
In diesem Moment brachen die beiden ersten Wachen
mit vorgestreckten Lanzen durch die Falltür. Baol reagierte instinktiv: Dem ersten Mann schnitt er die Kehle durch, packte dessen Lanze und durchbohrte damit den zweiten. Dann erst nahm er, mit der Lanze des Feindes in der Hand, Kampfstellung ein.
»Lauf hinauf!«, rief er Amina zu, die wie versteinert dastand. Es war nicht der erste Kampf, den sie miterlebte, doch die anderen Male war Adhara bei ihr gewesen, in den chaotischen, schrecklichen Tagen gleich nach der Ermordung ihres Vaters. Damals war alles anders gewesen, und sie
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