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Die fiese Meerjungfrau

Die fiese Meerjungfrau

Titel: Die fiese Meerjungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim C. Hines
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Seiten fielen fast lotrecht ab, Miniaturklippen aus zerbröckelndem schwarzem Gestein. Als sie näher kamen, konnte Danielle einen unter Wasser liegenden Pfad aus Stein sehen, der die zwei Felsinseln verband.
    »Ich schätze, die da sieht irgendwie wie ein Riese aus«, meinte Schnee unschlüssig.
    Falls sie recht hatte, dann handelte es sich allerdings um einen recht kränklichen Riesen: Die Nase war ins Wasser gefallen, die Wangen waren mit Vogelkot verschmiert. Andererseits riefen Moos und Rankenfußkrebse tatsächlich den Eindruck eines Bartes hervor, und die Baumgruppe ganz oben konnte man als Haare gelten lassen.
    Der zweite ›Riese‹ war leichter zu erkennen, als sie sich ihm näherten, obwohl ein ›Auge‹ einem enormen Nest aus geflochtenem Gras und Laub Heimstatt bot.
    »Wo ist sie wohl?«, fragte Danielle.
    Lannadae ließ sich tiefer ins Boot sinken. »Ich bin mir nicht sicher.«
    Danielle beugte sich über den Rand. Das Wasser war seicht genug, um zu sehen, wie die Pflanzen auf dem Grund sich wiegten.
    Der Wind ächzte, als er über die Felsen strich. Danielle unterdrückte ein Schaudern bei dem Geräusch; es erinnerte sie an das Atmen ihres Vaters während seiner letzten Tage hier auf dieser Welt: Das lange, angestrengte Keuchen, wenn er um Luft rang. Das Stöhnen vor Schmerz, das er vergeblich zu unterdrücken versuchte, wenn er wusste, dass Danielle zuhörte.
    »Sie ist hier«, sagte Schnee.
    Danielle fuhr sich übers Gesicht. »Was ist das?«
    »Es ist Morveren.« Schnees Augen waren glasig. »Das Lied der Undinen besitzt Zauberkraft, schon vergessen?«
    »Sie war schon immer eine starke Sängerin«, sagte Lannadae. »In ihrer Jugend pflegte sie Botschaften an andere Stämme zu singen.«
    »Hört sich an wie die Schreie der Ertrunkenen«, sagte James.
    Talia hatte nichts gesagt. Sie starrte mit gehetztem Blick ihre Hände an. Danielle streckte die Hand aus, um sie am Arm zu berühren.
    Talia schlug Danielles Hand zur Seite und erstarrte dann. »Tut mir leid! Ich war -« Sie schüttelte den Kopf. »Wo ist sie?«
    Schnee zeigte auf die Bäume, die die Spitze des linken Felsens bedeckten. Das Boot schwankte kaum, als Talia aufstand und eines ihrer Messer zog.
    »Was hast du vor?«, fragte Lannadae.
    Einen Moment später wirbelte das Messer zwischen die Bäume.
    Das Ächzen, von dem Danielle geglaubt hatte, der Wind würde es verursachen, hörte mit einem kurzen Aufschrei auf. Talia zog ein zweites Messer.
    »Nein!« Lannadae ergriff Danielles Bein. »Aschenputtel, mach, dass sie aufhört!«
    Danielle legte ihre Hand über die Talias. »Sie kann uns nicht helfen, wenn sie tot ist.«
    Das Lied begann von neuem, diesmal ärgerlicher. Talias Augen glänzten. »Bring sie zum Schweigen, oder ich werde es tun!«
    Danielle nickte und drehte sich so, dass sie das Gesicht den in den Felsen nistenden Kormoranen zuwandte. Singt, meine Freunde!
    Die Schreie der Kormorane ein Lied zu nennen, hieß die Bedeutung dieses Wortes bis zum Zerreißen zu dehnen, aber als ihr Kreischen anstieg, verlor der Zauber der Meerjungfrau seine Macht. Kaum hörbar drang eine wütende Stimme durch die Bäume: »Was tut ihr meinen Vögeln an?«
    »Das ist sie!« Lannadae starrte zu den Bäumen hoch. »Was macht sie da oben?«
    »Lasst es uns herausfinden!«, sagte Schnee munter. Entweder hatte das Lied der Meerjungfrau auf sie keine Wirkung gehabt, oder aber sie hatte diese weitaus leichter als alle anderen abgeschüttelt. Bevor Danielle sie daran hindern konnte, sprang Schnee über Bord und begann, auf die Felsen zuzuschwimmen.
    »Kooperativ von ihr, in die Falle zu tappen, die Morveren möglicherweise aufgestellt hat, findet ihr nicht?« Kopfschüttelnd sprang Talia ihr hinterher.
    Danielle wölbte die Hände vor dem Mund. »Ich heiße Danielle Whiteshore, Prinzessin von Lorindar. Ich bin mit deiner Enkelin Lannadae gekommen, um dich um Hilfe zu bitten!«
    »Lügnerin! Lannadae ist tot! Lirea hat ihre Schwestern ermordet, genauso wie sie meinen Sohn ermordet hat!«
    Danielle wandte sich an Lannadae. »Wie kann sie das wissen?«
    »Keine Ahnung!« Lannadae erhob die Stimme. »Großmutter, ich bin's!«
    Es kam keine Antwort. Danielle streifte die Jacke ab. »Lannadae, bitte schwimm auf die andere Seite und sorge dafür, dass Morveren nicht versucht zu entkommen!«
    Lannadae glitt aus dem Boot. Danielle zog sich die Schuhe aus, zögerte aber noch, ihr zu folgen: Sie hatte als Kind nie schwimmen gelernt. Sie hätte es auch als Erwachsene

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