Die fiese Meerjungfrau
schrecklich schwierig für dich, uns mithilfe deiner Magie anzuziehen? Ich ... ich hatte schon immer Hemmungen. Das hier ist zu verwirrend.«
Talias Wangen brannten vor Scham.
»Du hast nichts, weswegen du gehemmt sein müsstest«, meinte Schnee grinsend. »Niemand würde auf die Idee kommen, dass dieser Körper schon einen Prinzen ausgespuckt hat!«
»Bitte!«, drängte Danielle.
Schulterzuckend berührte Schnee einen ihrer Spiegel. Schimmernd entstanden eine Hose und eine ausgeschnittene Bluse und bedeckten Danielles Körper. Ähnliche Kleidungsstücke erschienen gleich darauf an Schnee und Talia.
Talia seufzte. Sie kannte diese Kleider aus Schnees Garderobe, und sie waren nicht viel besser, als nackt dazustehen. Genauso wenig konnten sie dazu beitragen, die Bilder in Talias Kopf auszulöschen. Aber es war besser als gar nichts.
Sie wollte Danielle schon danken, aber dann fiel ihr ein, dass sie damit zugegeben hätte, dass die mit ihrer Vermutung recht gehabt hatte. Stattdessen wandte Talia sich zur Turmmauer hin. »Bleibt mit dem Körper dicht am Turm und versucht, Hände und Füße dorthin zu setzen, wo ich es mache. Bewegt nie mehr als eine Gliedmaße gleichzeitig!«
Scheinkleidung half nicht, ihren Körper vor dem roh behauenen Stein zu schützen. Das unterste Fenster befand sich im dritten Stockwerk, und schon bald blutete Talia aus Kratzern an Armen und Beinen. Sie spähte beim Klettern durch die ins Mauerwerk eingelassenen Schlitze für die Armbrustschützen, aber im Innern des Turms war es zu dunkel, um etwas zu erkennen.
Der marmorne Fenstersims fühlte sich nass und rutschig an. Sie fand einen höherliegenden Tritt und drückte sich nach oben. Sie hielt die Luft an und lauschte auf irgendwelche Geräusche im Innern: einen Schritt oder ein schnelles Atemholen, mit dem jemand sich bereit machte, sie zu enthaupten. Doch die einzigen Laute waren das Plätschern des Wassers unter ihr und Schnees gemurmelte Beschwerden.
»Wartet hier!« Talia zog sich durchs Fenster und landete leichtfüßig auf einem Steinfußboden im Innern, wo sie wartete, bis ihre Augen sich an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnt hatten. Sie bemerkte ein orangefarbenes Leuchten, das von dem Zentrum des Raums aufstieg, und in dessen Licht die Umrisse eines Lochs, wo Stein abgebröckelt war. Sie traute dem kaputten Boden nicht genug, um die Sache näher in Augenschein zu nehmen.
Entlang der Wand führte eine Treppe in beide Richtungen. Über sich konnte sie durch Löcher in der Decke die verblassenden Sterne sehen.
Sie beugte sich aus dem Fenster und half Danielle und Schnee hinein, dabei stieß Danielles Schwert klirrend gegen den Rahmen. Talia erstarrte und wartete auf irgendein Geräusch von unten, aber falls Lirea wirklich dort war, so schien sie nichts gehört zu haben.
»Bleibt dicht an der Wand!« Talia führte sie zur Treppe. »Seid still!«
Dies musste ursprünglich ein Wachturm gewesen sein, dessen Spitze sicherlich mit Kanonen oder einer Balliste bestückt gewesen war, ebenso wie mit einer Alarmglocke. Wahrscheinlich war dies ganze Kriegsgerät mit seinem enormen Gewicht durch die Böden der einzelnen Stockwerke gebrochen und hatte die Löcher geschaffen.
Die Stufen führten durch eine behelfsmäßige Waffenkammer nach unten. Viele der alten Waffen waren schäbig oder kaputt, aber Lirea hatte sich eine ganz nette eigene Sammlung zugelegt: Speere nach Undinenart und Messer, die aus Holz, Stein und Knochen angefertigt waren, lagen in ordentlichen Reihen auf dem Boden - die Meerjungfrau bewahrte genug Waffen auf, um gegen eine kleine Armee zu kämpfen. Weiter hinten befand sich exotischeres Mordwerkzeug. Danielle hob ein gerieftes Paddel auf, dessen eines Ende in einen Haken auslief.
»Eine Speerschleuder«, flüsterte Talia und bediente sich eines Krummschwerts. Die Klinge war angelaufen, aber noch scharf. Die Waffe war nicht alt genug, um einem der ursprünglichen Bewohner des Turms gehört zu haben. Wie viele dieser alten Waffen stammten wohl von versunkenen Schiffen? Ihre Finger ballten sich zu Fäusten, als sie ein Messer entdeckte, in dessen Parierstange ein glänzender weißer Stein eingelassen war: Diese Waffen waren im Norden Lorindars gebräuchlich, und so, wie die Klinge glänzte, handelte es sich um eine Neuerwerbung. »Kommt weiter!«
Sie stiegen hinunter durch ein weiteres Zimmer, dessen Wände von kaputten, verschimmelten Etagenbetten gesäumt waren. Durch den eingestürzten Boden konnte Talia
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