Die Flamme von Pharos
wollte ganz einfach nicht antworten – in beiden Fällen waren die Aussichten, etwas über Gardiner Kincaid in Erfahrung zu bringen, mehr als gering.
»Es ist zwecklos«, seufzte Sarah enttäuscht. »Sie wird uns nicht helfen können.«
»Offenbar.« Du Gard nickte. »Der Doktor hatte wohl recht mit dem, was er sagte. Ihr Zustand scheint noch um vieles schlimmer zu sein, als ich es vermutet habe. Anfangs dachte ich, eine Regression könnte helfen, aber nun …«
»Wovon sprechen Sie?«
»Hypnose«, antwortete du Gard wie selbstverständlich.
»Was denn?« Sarah schnitt eine Grimasse. »Wollen Sie die arme Frau den Cancan tanzen lassen?«
»Nicht doch. Sie sollten das, was ich auf der Bühne treibe, nicht mit ernsthafter Arbeit verwechseln. Es besteht die Möglichkeit, Menschen mittels Hypnose in eine Art Traumzustand zu versetzen, in dem sie sich an Dinge erinnern, die sie unter normalen Umständen längst vergessen haben.«
»Ist das Ihr Ernst?« Sarah wusste nicht, ob sie darüber spotten oder sich nur wundern sollte. »Und so etwas funktioniert?«
»Durchaus – allerdings kann die Regression nicht bei Patienten in labilem geistigem Zustand angewandt werden.«
»Warum nicht?«
»Weil die Hypnose schwerwiegende Schädigungen zur Folge haben könnte, und wir wollen schließlich nichts unternehmen, das Madame Recassin in irgendeiner Weise zum Nachteil gereichen könnte, richtig?«
»Ganz recht«, bestätigte Sarah, auch wenn es ihr nicht leicht fiel. Die Versuchung, durch du Gards Methoden doch noch an Informationen zu gelangen, die ihr dabei helfen konnten, ihren Vater zu finden und das Rätsel um sein Verschwinden zu lösen, war groß – aber natürlich war Sarah nur zu klar, dass du Gard recht hatte und dass auch Gardiner Kincaid keinesfalls gewollt hätte, dass sein Leben mit der geistigen Gesundheit eines anderen erkauft wurde.
»Wir werden uns also zurückziehen«, sagte du Gard entschieden und wandte sich bereits dem Ausgang zu.
»Sie wollen einfach gehen?«
»Natürlich – oder haben Sie einen besseren Vorschlag?«
Sarah dachte kurz nach, dann schüttelte sie den Kopf. Sie bedachte die reglose Patientin mit einem bedauernden Blick, murmelte ein Abschiedswort und wollte sich dann ebenfalls zum Gehen wenden – als sich eine leise Stimme vernehmen ließ, kaum mehr als ein Wispern.
»Wissen Sie, wo es ist?«
Sarah und du Gard blieben wie angewurzelt stehen. Noch immer hockte Francine Recassin bewegungslos am Boden, aber es war unleugbar, dass sie gesprochen hatte.
»Was?«, erkundigte sich du Gard. »Was haben Sie gerade gesagt?«
Einen Augenblick lang blieb es still. Dann ließ sich die wispernde Stimme erneut vernehmen. »Ich habe Sie gefragt, wo es ist.«
»Wo was ist?«, hakte Sarah nach – eine Antwort erhielt sie jedoch nicht. »Madame Recassin?«
Diesmal regte sich die kauernde Gestalt, wenn auch langsam und wie in Trance. Widerstrebend hob sie den Kopf, und unter Strähnen von aschblondem, verfilztem Haar lugte ein blasses Gesicht hervor, bei dessen Anblick Sarah schlucken musste. Nach allem, was du Gard ihr erzählt hatte, war Francine Recassin eine Frau in den frühen Vierzigern – diese Züge jedoch ähnelten denen einer Greisin, ausgemergelt, fahl und von Furchen durchzogen; die Lippen waren graue Striche, die in Panik starrenden Augen gerötet und von dunklen Rändern umgeben. Ohne Zweifel hatten sie Schreckliches mit angesehen …
»Guten Tag«, sagte Sarah und rang sich trotz der Düsternis des Ortes ein freundliches Lächeln ab. Der Klang ihrer Stimme schien jedoch zu genügen, um die Züge der Patientin noch mehr zu verfinstern.
»Keine Angst«, fügte du Gard deshalb beschwichtigend hinzu, »wir sind Freunde. Wir wollen Ihnen nichts tun.«
»Wer hat Sie geschickt?«, tönte es mit brüchiger Stimme.
»Wie darf ich das verstehen?«
»Wie ich es sage. Wer hat Sie geschickt?«
Sarah und du Gard tauschten einen verwunderten Blick. In Francine Recassins Augen flackerte helle Panik, ihre Wortwahl und ihre Art zu sprechen deuteten jedoch nicht auf einen Menschen hin, der nicht mehr Herr seines Verstandes war …
»Niemand«, entgegnete Sarah. »Wir sind in eigener Sache hier.«
»In was für einer Sache?«
»Das sagte ich bereits. Ich bin die Tochter von Gardiner Kincaid und auf der Suche nach ihm.«
»Lord Kincaid ist Ihr Vater?«
»Demnach kennen Sie ihn?«
»Er war ein Freund meines Bruders. Aber ich wusste nicht, dass er eine Tochter hat …«
»In der Tat«,
Weitere Kostenlose Bücher