Die Flammen der Dämmerung: Roman (German Edition)
»Warum hast du dich damit nicht an mich gewandt?«
Abban verbeugte sich so tief, wie seine Krücke es zuließ. »Der Shar’Dama Ka hat Wichtigeres zu erledigen, als dauernd übereifrige Sharum und dama zu tadeln, die ganz erpicht darauf sind, Schlupflöcher zu finden, um mich zu schikanieren, ohne gegen deinen Beschluss zu verstoßen.«
Jardir entging nicht die Veränderung, die sich bei diesen Worten in Shanjats und Ashans Auren vollzog. Auch sie hatten sich dieses Vergehens schuldig gemacht, wenn auch nicht so brutal wie Hasik. Mit ihnen würde er sich auch noch befassen müssen.
Doch dann wanderte sein Blick zu Abban zurück, und er geriet ins Grübeln. Abban erbat, nein, forderte das Recht, sich verteidigen zu dürfen. Der khaffit starrte ihn herausfordernd an und warnte ihn gleichsam davor, in dieser Sache Partei für die Sharum zu ergreifen. Wenn du so töricht bist, dich gegen mich zu wenden, dann hast du meine Loyalität nicht verdient, sagte seine Aura.
Jardir stieß einen lauten Seufzer aus. »Immer wieder habe ich den Männern in diesem Saal gesagt, dass Abban kein Schaden zugefügt werden darf. Er gehört mir, und ich bin der Einzige, der nach Belieben mit ihm verfahren kann. Jeder Mann hat das Recht, die Vergewaltigung seiner Tochter zu verhindern oder sie zu rächen, wenn es ihm möglich ist. Sogar ein khaffit . Sogar ein chin . Wenn Hasik zu schwach war, um sich zu wehren, dann hat er die Beute nicht verdient. Sein Schwanz wird ihm keine Probleme mehr bereiten. Er hat Söhne und Töchter, die seinen Namen weiterführen, und wie der khaffit schon sagte, ist er immer noch tauglich für den sharak .«
Er sah Hasik an. »Du bist Abban nichts mehr schuldig, du hast deinen Preis bezahlt. Der Preis dafür, dass du meine Schwester geschlagen hast, lautet Scheidung, aber nicht nur von deiner Jiwah Ka , sondern auch von deinen anderen Gemahlinnen. Ich will nicht, dass meine Schwester mit einem halben Mann verheiratet ist. Hanya wird ihre Schwestergemahlinnen behalten, deinen gesamten Besitz und die Kinder.« Er merkte, wie Hasik bei dieser Ankündigung zusammenbrach, doch er empfand kein Mitleid mit ihm. Was Hasik ihm vor vielen Jahren im Labyrinth angetan hatte, war immer noch nicht vergessen.
Mit seinem Speer deutete er auf den gefesselten Krieger. »Du darfst deinen Speer behalten, deinen Schild und die schwarze Kleidung. Aus den Speeren des Erlösers verstoße ich dich, aber Jayan wird dich einer anderen Einheit zuteilen, in der du kämpfen kannst. Niemand hier wird über deine Verletzung sprechen, und sollte man sie entdecken, kannst du sagen, ein alagai hätte sie dir zugefügt. Wenn du weiterhin in der Nacht Ruhm erntest, kann es sein, dass du trotz allem den Himmel siehst. Aber brich noch ein einziges Mal Everams Gesetz, und sei es nur, indem du einen Becher Couzi trinkst, dann sorge ich dafür, dass du in Nies Abgrund geworfen wirst.«
Er wandte sich Ashan und Shanjat zu. »Kann ich mich darauf verlassen, dass ihr zwei die Lektion ebenfalls gelernt habt?«
Beide Männer machten zerknirschte Gesichter und nickten. »Das ist gut«, sagte Jardir. »Seht zu, dass die anderen Sharum und dama auch davon erfahren. Ich werde sie nicht wiederholen.«
Sobald die Audienz vorüber war, begab sich Inevera unverzüglich in ihre Kammer der Schatten. Nach dem Treffen mit ihren Eltern wollte sie unbedingt eine Zeit lang mit ihrem Gemahl allein sein, doch dazu kam es nicht. Die übliche Schlange von Hofschranzen und Bittstellern reihte sich vor dem Schädelthron ein, um Jardir ihre Anliegen vorzutragen, und sie hatte nicht die Geduld, um sich alles anzuhören.
Eigentlich hatte sie das Blut, das sie Abbans Taschentuch entzogen hatte, für den richtigen Zeitpunkt aufheben wollen, doch nun, da seine Macht und seine Dreistigkeit immer mehr zunehmen, konnte sie es sich nicht leisten, noch länger zu warten. Sie hatte nicht gewusst, dass Ahmann dem khaffit Krieger überlassen hatte, und dieser Umstand erklärte vieles. Trotzdem konnte sie nicht glauben, dass irgendein kha’Sharum ihren Eunuchenwächtern, die Enkido selbst ausgebildet hatte, überlegen war. Sie hatten schon Gemahlinnen von Damaji in deren Betten getötet, während ihre Ehemänner neben ihnen schliefen.
Hasik hatte sein Schicksal verdient, und dasselbe galt vielleicht auch für ihre Wächter, wenn sie so dumm gewesen waren, sich erwischen zu lassen. Doch der allgemeine Verlauf der Dinge beunruhigte sie. Der khaffit hatte bereits versucht, eine
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