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Die Flammen der Dunkelheit

Die Flammen der Dunkelheit

Titel: Die Flammen der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyne Okonnek
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fassen, und alles andere war unwichtig geworden.
    Den Pfeil im Hals, sackte die Frau zusammen und kippte vornüber, ganz wie der Mann in der Gasse, aber im Gegensatz zu ihm gab sie noch ein kurzes gurgelndes Geräusch von sich. Danach herrschte Stille. Dídean eilte zu ihr und wollte den Ring an sich nehmen, doch sie bekam ihn nicht von dem Finger herunter, ganz gleich, wie sehr sie auch zog. Fast hätte sie vor Wut gebrüllt, aber das hätte die Wachen alarmieren können, und so dicht vor dem Ziel durfte nichts mehr sie aufhalten. Entschlossen holte sie ihren Dolch hervor. Fest packte sie den hölzernen Griff und säbelte mit der scharfen Klinge aus Stein den beringten Finger am Gelenk ab. Sie musste die Zähne zusammenbeißen, diese Arbeit war wirklich ekelhaft. So hatte sie sich ihr Wiedersehen nicht vorgestellt. Dann endlich hielt sie den befreiten Ring in den Händen! Er war mit menschlichem Blut besudelt, aber das ließ sich abwaschen. Sorgsam barg sie ihn in einer Tasche ihres Kleides. Dídean wischte das Messer am Saum des Krönungsmantels sauber. Der obere Teil und die ehemals goldenen Haare waren bereits blutgetränkt. Einen Augenblick überlegte sie, ob sie die Tote umdrehen sollte, um ihr ein letztes Mal ins Gesicht zu sehen, ließ es aber sein. Es war besser, dass sie möglichst schnell hier verschwand, um den Ring für Grian in Sicherheit zu bringen. Vielleicht würde Aithreo sogar aus Dankbarkeit seinen Groll überwinden. Ein wenig schwankend richtete sie sich auf. Die verfluchte Schwäche durch das Eisen schien noch immer nicht ganz vorüber. Sie sollte besser laufen als fliegen, sie kannte sich ja in dem Gebäude aus. Nachdem sie sich dafür entschieden hatte, ging sie an der Toten vorbei zur Tür. Obwohl sie beinahe darüber stolperte, übersah sie das einfache Schuhwerk, das nicht zu der königlichen Kleidung passen wollte.
    Vor dem Zimmer war alles ruhig und sie gelangte ohne ein weiteres Zusammentreffen hinab in den ersten Stock. Dort ging sie den Flur entlang, der sie über einen Quergang und eine Wendeltreppe nach unten und durch sämtliche Keller und eine Geheimtür hindurch in die Freiheit führen würde. Den Abwasserkanal überwand sie naserümpfend in ihrer eigenen Gestalt. Aus Sorge um den Ring wollte sie sich nicht verwandeln. Sein Gewicht war wirklich ungewöhnlich. Als sie weiter unten in der Stadt aus dem Kanal kletterte, konnte sie hören, dass sich der Kampf von der Mauer weg in die angrenzenden Gassen verlagert hatte. Nun, sie würde vermeiden, sich vorne an der Front einzureihen, sie musste für Grians Ring überleben. Es würde am klügsten sein, sich wieder in ein kleines Mädchen zu verwandeln, aber sie zögerte, weil sie sich darin auf eine merkwürdige Art unfrei fühlte. Plötzlich fiel ihr Aithreo ein. Er wählte oft die Gestalt einer Eule. Vielleicht wäre ein Käuzchen gut, sie müsste eben den Ring sehr fest halten. Sogleich setzte sie den Gedanken in die Tat um und entschied, sich in einen weniger umkämpften Teil der Stadt zurückzuziehen. Dídean schwang sich in die Höhe, flog einen kleinen Kreis und dann Richtung Meer. Im Geäst eines alten Baumes, der dicht an der Stadtmauer wuchs, ließ sie sich nieder. Sie konnte hören, wie die Wellen in einem unruhigen Takt an die Klippen unter ihr schlugen. Auf einem Fuß, den anderen mit dem Ring fest an den Bauch gepresst, plusterte sie sich auf, als würde sie ruhen, doch ihre Augen musterten wachsam die Umgebung. Einmal nur legte sie den Kopf in den Nacken und warf einen Blick hoch zum Palast.
    Es ist vorbei, dachte sie, doch der erhoffte Friede wollte sich nicht einstellen.

    Die Anspannung raubte ihm beinahe den Atem. Sie waren so dicht vor dem Ziel, aber was, wenn sie scheiterten? Er hatte im Lauf der Jahrhunderte auf schmerzhafte Weise lernen müssen, sich auf nichts zu verlassen, immer das Schlimmste anzunehmen. Als er von Weitem die Mauern von Kerlonrax gesehen hatte, wäre er am liebsten umgekehrt. Jeder dachte, dass er seit der großen Niederlage die Stadt aus Gründen der Sicherheit mied, denn wenn ihm etwas geschah, war das Volk ohne Führung. Doch manchmal überfiel ihn der ketzerische Gedanke, dass dies gar nicht zwanghaft zu einem Ende führen musste. Vielleicht entwickelten die Aos Sí eine ganz neue Form von Leben, das sie glücklicher machte als das alte mit Maidin oder ihrer Tochter Grian. Immer wieder versuchte er sich vorzustellen, wie der Tod sein würde, er war so müde.
    Nun also stand er dem Ort

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