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Die Flammen von Lindisfarne

Die Flammen von Lindisfarne

Titel: Die Flammen von Lindisfarne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf W. Michael
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tatsächlich versuchte, mit aller Kraft den Druck zu erwidern. Schon sehr bald war deutlich zu sehen, dass Widar ganz allmählich die Finger, die er in seiner Eisenfaust hielt, zusammenquetschte. Dabei zeigte sein Gesicht mit keiner Regung, dass ihm dieser Händedruck irgendwelche Kräfte abnötigte. Das schmale, blutleere Gesicht von Nils Krähenfuß verzog sich schmerzhaft. Dicke Schweißperlen quollen über die Stirn, während der weit geöffnete Mund einen stummen Schrei ausstieß.
     
    „Mächtig warm ist es hier! Eine Hitze wabert wie in den Schlünden von Muspelheim, nicht wahr, Krähenfuß?“ fragte Widar mit feinem Lächeln. „Und deshalb musst du nun hinaus in die frische Herbstluft gehen und dich abkühlen, während ich ich sitzen bleiben kann. Begreifst du nun, warum ich den Namen Eisenfaust erhielt?“
     
    Ein letzter kurzer Druck und um die Beherrschung von Nils Krähenfuß war es geschehen. Er knirschte mit den Zähnen und im gleichen Augenblick ließ Widar seine Hand los. So rasch er konnte flüchtete Nils aus den Bankreihen und Widar verzichtete darauf, über Tische und Bänke hinter ihm herzujagen und ihn aus der Halle zu werfen. Die anderen Wikinger brüllten vor Vergnügen. Mit zornrotem Gesicht schob sich Nils Krähenfuß in eine kleine Lücke auf einer Bank. Doch kaum hatte er sich hingesetzt, als sich Widar erhoben hatte, ihn wie ein Kaninchen im Genick griff und den zeternden Krähenfuß zum eigenen Tisch hinüber trug.
     
    „Wir rutschen alle zusammen, Kamerad, damit du Platz hast!“, dröhnte Widars Stimme. „Denn wer den Händedruck der Eisenfaust erträgt, ohne seinen Schmerz laut herauszuschreien, der ist wahrlich ein echter Wikinger. Du hast was gut bei mir, Krähenfuß.“
     
    „Freundschaft?“ fragte Lars und legte die Hände von Nils und Widar zusammen. Einen Augenblick sah Nils den Mann, der eben noch sein Gegner war, sinnend an.
     
    „Freundschaft“, sagte er dann und dieser Händedruck fiel manierlich aus. Die Tischgemeinschaft aber jubelte, dass die Gefahr eines Streits gebannt war.
     
    In diesem Augenblick gebot der Ruf des Stierhorns, das Olaf Metkanne mit Macht blies, Ruhe und Schweigen. Selbst die Mägde verhielten ihren Schritt. Bedächtig stieg Haakon Bärensprung auf den Tisch vor seinem Hochsitz. In der Hand hielt der das gefüllte Met-Horn. Schweigend griffen auch die anderen Männer nach ihren Trinkhörnern und hoben sie hoch empor.
     
    Lars und Widar sahen sich an. Nun würden sie zum ersten Male den feierlichen Augenblick miterleben. Insgeheim betete Lars zu Thor, dem gewaltigen Trinker, dass er ihm Kraft gebe, das große Stierhorn der Sitte gemäß in einem Zuge zu leeren.
     
    „ Höre, du Hoher in heren Höhen !“ klang die feierliche Stimme des Haakon Bärensprung.
     
    „ Festlich feiern wir Frommen - rüstig rufen den Ratvollen wir hier zur Rast!
     
    Met und Mahl, Sang und Sage und Weiber wonniger Wert
     
    sei, Siegvater, dir sicher, hausest du heimelig am Herd unserer Halle!
     
    Höre uns, Odin! “
     
    „Höre uns, Odin!“, antwortete feierlich der Chor aus rauen Männerkehlen. Dann folgten sie dem Beispiel des Jarl, erhoben das Met-Horn und tranken in langen Zügen den süßlichen Honigwein.
     
    Mit einem Seitenblick auf die anderen Tischgenossen trank Lars Wolfssohn wie niemals zuvor in seinem Leben. Er war es gewöhnt, in Maßen zu essen und zu trinken, doch die Mannes-Ehre gebot es, das Horn in einem Zuge zu leeren. Mit Wasser hatte er schon einige Male geübt - aber er hatte es nicht immer geschafft. Widar mit seinem stämmigen Körper hatte da weniger Probleme.
     
    Dennoch gelang es Lars, das Horn bis auf den Grund zu leeren. Und er war immer noch schneller als Nils Krähenfuß, der als letzter, das leere Horn mit der Öffnung auf den Tisch hieb um zu zeigen, dass er den Ehrentrunk nach alter Sitte in einem Zuge hinunter geschüttet hatte. Hochgefühl erwachte in Lars. Im Kampfe wie im Trunke hatte er jetzt seine Mannbarkeit bewiesen.
     
    „Odin!“, brüllte der Jarl und hob das geleerte Horn in die Höhe-
     
    „Odin!“, donnerte noch einmal der Name des obersten Nordlandgottes von den Lippen der Männer, die wie auf ein Kommando ihre leeren Trinkhörner erhoben. Ein Ruf, der den Gott selbst herauszufordern schien. Der Schall des Wortes war noch nicht verklungen, als das Tor der Halle weit aufgerissen wurde. Ein eisiger Windstoß fegte hinein und ließ die Fackeln flackern. Von seinem Hochsitz aus erspähte Haakon

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