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Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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vor Augen, ich habe sofort erkannt, welche es sind, die während meiner Abwesenheit aus unserer Mitte gerissen wurden. Wo ist das schöne Liebespaar Lisa und Josef? Sind sie gemeinsam aus diesem Leben geschieden? Der gute Otto mit seiner lustigen Mütze. Auch ihn sehe ich nicht unter euch. Und dann der junge Gustav, ein Knabe noch, der so voller Leben gesteckt hat.
    Doch wie ich schon sagte: Wir Übrigen, wir müssen leben. Wir müssen weiter. Wir dürfen uns nicht beirren lassen. Auch nicht vom Tod. «
    Und damit zeigte er auf Crispin, der mit verschränkten Armen bislang schweigend und hin und wieder kopfschüttelnd gelauscht hatte.
    » Bei diesem ehrenhaften Deutschordensritter– der Anblick eines Mannes dieser Zunft ist euch allen bereits bekannt– bei ebendiesem ehrenhaften Ordensritter namens Crispin de Montbard habe ich Erkundigungen eingeholt. Ja, es war meine Pflicht als euer Anführer, möglichst rasch in Erfahrung zu bringen, in welche Gefahr wir uns möglicherweise begeben, wenn wir unsere Reise fortsetzen. Denn ihr seid nicht die Einzigen, die es ereilt hat, das große Sterben. Ritter Crispin weiß von schrecklichen Heimsuchungen zu berichten, in denen ganze Städte, ganze Inseln gar entvölkert wurden. « Jetzt machte er eine dramatische Pause, in der er sehr lange und sehr tief durchatmete, dann fuhr er in bedächtigerem Ton fort:
    » Das Sterben zieht durch Europa. Italien hat es bereits durchwandert und wird bald den Süden unseres Reiches erreichen. Von dort wird es gewiss gen Norden und Westen aufbrechen, denn es braucht Menschenfleisch und hält sich nur dort auf, wo es genügend Nahrung finden kann. Glaubt mir, wenn wir nun zurück in eure alte Heimat gehen, dann rennen wir ihm in die Arme. Wir werden zum freiwilligen Opfer dieses entsetzlichen Schreckens, dem ihr schon so schmerzhaft ins Auge habt blicken dürfen. Doch in den Osten, da, wo ganze Landstriche unbewohnt sind, dorthin hat der massenmordende Tod keine Lust zu streifen. Deshalb können wir unbesorgt weiter. Unbesorgt und möglichst rasch. Das ist es, meine Lieben, was ich euch zu sagen habe. Das ist die Kunde, die ich auf meiner gefährlichen Irrfahrt der letzten Tage– seht mich an, selbst mein Habit spricht von meinen Entbehrungen « , dabei wies er mit beiden Händen an sich herunter und präsentierte sein armseliges, löchriges Gewand, » …das ist also die Kunde, die ich auf meiner Irrfahrt eingeholt habe. Unser Zug wird somit leider nicht nur zu einem Marsch in ein gelobtes Land, nein, er wird auch zu einer Flucht vor dem Schleier des Todes, der sich über das ganze Gebiet hinter uns zu legen beginnt. Wir befinden uns noch am Rande dieses Schleiers. Aber wenn ihr beschließt, mir weiter zu folgen, euch wieder vertrauensvoll in meine schützenden Hände zu begeben, dann können wir ihm entfliehen, ohne weitere Tote beklagen zu müssen. «
    Damit beendete der Gaukler seine Rede, und Crispin bemerkte, dass dieser tatsächlich aus der Reihe der mittlerweile schlapp am Boden sitzenden Leute vereinzelt Zustimmung erhielt. Besonders das alte Weib nickte bestätigend, und auch eine weitere, großgewachsene, ansehnliche Frau schien sehr angetan von den Worten Reginos. Crispin hatte alles staunend beobachtet und konnte noch immer nicht fassen, was dieses ewig zappelige, fahrige Männlein doch für eine runde Geschichte aus den wenigen Informationsbrocken gemacht hatte, welche Crispin ihm in den letzten Tagen zugeworfen hatte. Ja, er hatte Regino durchaus von dem Pestzug durch Italien erzählt, und er hatte hier und da auch seine Befürchtung geäußert, dass diese Seuche sich weiter über den restlichen Kontinent würde ausbreiten können. Er hatte erwähnt, dass die Sizilianer und Venezianer die Seuche » mortalega grande « , also » das große Sterben « nannten, aber er hatte nie den Eindruck gewonnen, mit diesen vereinzelt ausgesprochenen Sätzen das Interesse des Gauklers geweckt zu haben. Crispin hätte sogar seine Hand dafür ins Feuer gelegt, dass sich Regino gar nichts von alldem gemerkt hatte, so abwesend hatte er immer gewirkt, wenn Crispin während einer Rast oder am Abend in einem Wirtshaus auf dieses Thema zu sprechen gekommen war. Doch offenbar hatte Regino alles aufgesogen wie ein Schwamm und daraus nun eine eigene Geschichte geformt, die, obwohl sie erfunden war, so abwegig nicht schien.
    Es hatte durchaus Sinn, was er da sagte.
    Ja, die Seuche war ein Menschenfresser. Sie würde gewiss zunächst dorthin ziehen, wo

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