Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
vorgelesen und ihn auf diesen heiklen Plan gebracht. «
» Dann wollen wir also hoffen, dass alles gutgeht und sie uns nicht noch innerhalb dieser Mauern verloren gehen, nicht wahr, Regino? « Maja ließ nicht davon ab, den schlanken, schmalschultrigen Regino misstrauisch zu mustern, woraufhin dieser begann, wie immer, wenn er nervös wurde, von einem Bein auf das nächste zu hüpfen. Dabei erklangen leise seine zahllosen Schellen und ließen eines der Mädchen im Schlaf aufseufzen.
» Entzückend « , entfuhr es Regino, der jetzt mit einem verklärten Blick auf die Schlafenden ruhig stehen geblieben war. Dann sagte er plötzlich in entschlossenem Ton: » Nein, Maja, sie werden uns nicht verloren gehen. Wen Regino von Bunseborn in seine Obhut nimmt, den lässt er nur unter Preisgabe seines Lebens wieder gehen. Weißt du, Maja, ich habe eine Idee. Wozu ist er da, der Fundus an Weistümern, der in meinem Schädel klebt wie Schnodder in der Nase? Wozu habe ich ihn erlernt von der schönen Esther, der erfahrenen Zigeunerin, die nicht nur eine äußerst kundige Kennerin der Volksrechte war, sondern mir auch einiges andere beigebracht hat. Wenn du verstehst, was ich meine… «
Maja zuckte verwundert mit den Schultern. Sie hatte keine Ahnung, was dieser seltsame Mensch da wieder im Schilde führte. Sie wusste nur, dass es nicht immer gut war, mitunter sogar spitzbübisch und gefährlich, was Regino hinter der Fassade von Frohsinn und Gleichmut ausheckte. Ja, dieser Galgenstrick, von dem man nicht wissen konnte, ob er gut oder schlecht war, machte selbst sie mit ihren seherischen Fähigkeiten ratlos. So auch jetzt, als er plötzlich lachend und freudestrahlend an ihr vorüberhüpfte und sie, die Hüterin der Jungfrauen, mit den beiden Neuzugängen in seinem Gefolge alleine ließ.
» Nun, dein Anliegen ist rasch beraten, guter Bürger von Quedlinburg. Höre: Wäre es, dass ein Mann ein Weib notzüchtigt, so soll man einen Pfahl nehmen, den Mann auf den Rücken legen und ihm den Pfahl auf den Bauch setzen. Das Weib, das über ihn geklagt hat, soll alsdann mit einem Schlegel drei Stunden lang auf den Pfahl schlagen. «
» Aber, weiser Regino– es bin doch ich, gegen den diese Klage erhoben wird. «
» Oh. Nun, dann sorge dafür, dass der Pfahl stumpf ist, und sag dem Weib, es soll nicht häufiger als vier Mal zuschlagen. Dann wirst du mit nichts weiter als vier gebrochenen Rippen davonkommen. Fünf Pfennige für den guten Rat. «
» Hab Dank. Hab Dank und nimm mein Geld. «
» Der Nächste, bitte. Ratsuchende aus Quedlinburg, strömt herbei! Eure Sorgen finden am heutigen Tage ein Ende, denn der weise Regino ist euer Advokat. Keift der Nachbar wegen einer stinkenden Grube? Ist der Gemahl auf Abwegen? Macht eine nicht bewilligte Erbschaft euch zu schaffen? Kommt nur her, denn ich weiß Rat. Ganz gleich, von welcher Brisanz euer Anliegen auch sein mag, Regino schweigt wie ein Grab, er macht den Mund nur auf, um euch das rechte Weistum mitzuteilen, danach ist euer Geheimnis bei ihm besser aufgehoben als im Kopfe eures Beichtvaters. Ja, tritt nur näher, gute Frau, womit kann ich dienen? «
» Weiser Herr, darf ich leise zu Euch sprechen? «
» Flüstere, niemand soll dich verstehen außer mir. «
» Nun, es geht um meinen Gemahl. Es ist ihm nicht möglich… nun… vielleicht könnt Ihr es Euch denken. «
» Oh, gewiss, ich kann es mir denken. Höre, armes Eheweib: Wenn ein Mann seinem rechten Weibe ihr fraulich Recht nicht tun kann, so soll er sie sachte auf seinen Rücken setzen und über neun Zäune tragen und sie ohne Stoßen, Schläge, Werfen und böse Worte niedersetzen und dann seinen Nachbarn anrufen, ob er seinem Weibe aus ihrer Leibesnot helfen könnte. Und wenn sein Nachbar das nicht tun will oder kann, so soll der Mann sie auf die nächste Kirmes schicken, und sie soll sich säuberlich herrichten und schmücken. Er hänge ihr einen Beutel, wohlgefüllt mit Geld, auf die Seite. Kommt sie dennoch wieder, ohne dass ihr geholfen wurde, so soll ihr dann der Teufel helfen. «
» Also darf mich der Nachbar aus meiner Not befreien? «
» So sagt es das Weistum, gute Frau, aber nur– und das darfst du nicht vergessen–, wenn es dein Gemahl erlaubt. Und eines darfst du auch nicht vergessen… mich für meinen Rat zu entlohnen. «
» Danke. Habt vielen, vielen Dank, weiser Mann. «
» Womit kann ich nun dir zur Seite stehen, junger Bürger von Quedlinburg? «
» Meister Regino, vor vier Tagen fand ich vor den
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