Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
Umständen glatt rasierte, dies aber seit einigen Tagen nicht mehr getan hatte. Auch sein weißer Mantel wies bei näherem Hinsehen zahlreiche Flecken auf. Aber trotz all dieser Mängel war unverkennbar, dass es sich bei diesem Mann um einen Ritter handelte. Und zwar um die Sorte Ritter, die man, was in diesen Zeiten selten war, als durchaus ehrenhaft bezeichnete. Aber das war nicht alles. Marie musste sich zudem eingestehen, dass sie selten zuvor einen Mann gesehen hatte, bei dessen Anblick ihr die Knie so sehr schlotterten– und das nicht vor Angst.
» Es ist besser für sie, wenn sie das Weite sucht, Weib « , sagte dieser nun, ohne dabei eine Miene zu verziehen.
Marie reagierte nicht, sie runzelte bloß die Stirn und starrte ihn noch eine Weile an. Irgendwie hatte sie den Eindruck, ebendiesen Moment schon einmal erlebt zu haben. Doch wie konnte das sein? Er war ihr fremd. Nie zuvor in ihrem Leben war sie ihm oder auch nur einem ähnlichen Mann begegnet. Es sei denn im Traum. Aber Marie war sich auch dabei nicht sicher. Hatte sie von ihm geträumt? Nein, nicht sie, sondern Maja. Maja hatte von einem solchen Mann geredet. Das schwarze Kreuz…
Erst als der ihr Gegenüberstehende sich vernehmlich und ungeduldig räusperte, erwachte Marie aus ihren tiefen Gedanken, nickte rasch und beeilte sich, aus dem Wäldchen heraus und wieder auf den Weg zu kommen. Sie würde sich einen anderen Rastplatz suchen müssen, wo sie die beiden Jungfern aus ihrer beengten Gefangenschaft erlösen konnte. Verwirrt trottete sie weiter, sich immer wieder nach dem Hain umschauend.
XVI
I n einer recht geräumigen, aber zugigen Höhle, von deren Decke es so sehr tropfte, dass sie draußen im Nieselregen trockener geblieben wären, machten die dreizehn– so viele waren sie nun– ihre erste Rast, nachdem sie allesamt die Stadt Quedlinburg verlassen hatten, ohne dabei Aufsehen zu erregen.
Erleichtert waren sie.
Besonders Regino schien schier aufgelöst vor Freude zu sein und wagte sogar mit einem der beiden neu zu ihnen gestoßenen Fräulein ein Tänzchen, ohne jedoch das Mädchen zuvor zu fragen. Dieses aber ließ es sich gern gefallen, während der Gaukler dabei mit einer äußerst hellen, wohlklingenden Singstimme ein Liedchen anstimmte.
Jeder aus der Gruppe hatte bereits bemerkt, wie unterschiedlich die beiden Stiftsdamen doch waren. Da gab es zum einen die kesse Elisabeth, die von Anfang an aufgeschlossen und fröhlich war und sich betrug, als seien sie auf dem Weg zu einem ausgelassenen Volksfest, und da war zum anderen die fromme Adelheid, die wiederum ein jedes Mal, wenn der Blick eines der Burschen auf sie fiel, errötend zu Boden schaute und nur dann sprach, wenn man ihr eine Frage stellte. Natürlich hatte Regino sich für Elisabeth als Tanzpartnerin entschieden, woraufhin alle Jungen und auch die beiden eifersüchtigen Mädchen Lisa und Anna zu dem seit der Errettung der Jungfrauen seltsam stillen Johann herüberblickten, der krampfhaft damit beschäftigt war, in der Mitte der Höhle ein Feuer zu machen.
Es war Elisabeth gewesen, die ihm die Kiesel auf den Kopf geworfen und danach die Errettungsbotschaft geschrieben hatte, und im Grunde müsste er als ihr Held nun rasend vor Eifersucht sein, dass seine Angebetete so frivol mit dem Pfeifer Regino um das Feuer sprang, welches Johann mit viel Mühe zum Lodern bringen wollte. Ja, eigentlich müsste er rasend sein, und das erwarteten anscheinend auch die anderen von ihm, die ihn so neugierig, mitleidig und teils schadenfroh beäugten. Doch dies war auch schon das Einzige, was Johann an dieser Situation störte: das Glotzen seiner Gefährten. Denn der Tanz und das Verhalten des Klosterfräuleins Elisabeth ließen ihn seltsam unberührt, was man jedoch von der Gegenwart der schüchternen Adelheid nicht behaupten konnte.
Diese saß neben Marie und bemerkte gar nicht, wie Johann ständig seinen Kopf ein wenig hob, um einen scheuen, kurzen Blick auf sie zu werfen. Marie jedoch bemerkte sehr wohl, dass sich der ansehnliche Bauernbursche Johann offenbar für ein Mädchen zu erwärmen schien, welches für ihn sicher unerreichbarer sein würde als der Mond. Und das lag nicht einmal daran, dass sie unterschiedlichen Standes waren, nein, vielmehr lag es an der unübertrefflichen Frömmigkeit und Gottesfurcht, welche die junge Adelheid verkörperte und welche sie selbst für den erfolgreichsten Schwerenöter zu einer Unberührbaren machen musste.
» Wo warst du? « , fragte Marie die
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