Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
gleich, wo wir sind: Ich bin mit einem jeden Rastplatz zufrieden. « Auch Marie hatte nun den Rest der auf dem Wege stehenden und zu dem Hügel starrenden Truppe erreicht. Sie war vollkommen ausgelaugt. Seit einer Stunde rührte Ulrich sich nicht mehr, leblos hing er auf dem Eselchen und musste von Marie gestützt werden, damit er nicht hinunterfiel. Schlief er nur, oder war er ohnmächtig? Marie wusste es nicht, sie wusste nur, dass ein Ruhelager nun dringend notwendig war.
Ja, Ulrich war eine Last.
Nicht nur seine körperliche Schwäche belastete seine Frau, nein, es war seine ganze Anwesenheit, welche Marie alle Kraft raubte.
Warum war er nicht geblieben, wo er war? Wieso musste er ihr folgen? Weshalb musste er ihr Gewissen derart plagen?
Ja, sie war durchaus erleichtert, nun sicher zu sein, dass er lebte und Fips ihm nichts angetan hatte. Ja, sie fühlte sich ihm verbunden und verpflichtet, ihm zu helfen.
Aber dennoch: Ulrich gehörte nicht in diese Welt. Er gehörte in sein Dorf. Und nur in diesem Dorf gehörte Marie zu ihm. Auf den Wegen und Pfaden des Landes war sie eine andere Frau. Schutzloser, aber freier. Es widerstrebte ihr, diesen gutmütigen Mann jetzt als ein Relikt aus vergangenen Tagen bei sich zu haben.
Und es widerstrebte ihr nicht nur aus Eigennutz. Nein, Marie spürte, dass dieser Weg nicht für eine bodenständige Natur wie Ulrich Filzhut gemacht war. Sie würde ihn früher oder später verlieren, so fürchtete sie, und dieser Verlust würde ein sehr schmerzhafter sein. Wäre er doch daheim allein auf seiner Bank an seinem wärmenden Feuer sitzen geblieben und hätte ihr bis ans Ende seiner Tage zu Recht gezürnt. Das wäre besser für sie beide gewesen.
Marie war froh, dass wenigstens der heutige Marsch bald ein Ende fand und sie Ulrich auf ein rasch errichtetes Reiselager betten konnte, um somit von der Last seines Leibes, aber auch von der Last ihrer quälenden Gedanken zumindest für eine Nacht befreit zu sein. Also beeilte sie sich jetzt, Ulrich stützend und das Eselchen ziehend, die Übrigen zu überholen und auf den düster im Abendrot liegenden Teufelsberg zu steigen.
Maja folgte ihr umgehend.
Und dann taten es ihr auch die anderen gleich.
» Wenn es Euch gruselt, so werde ich Euch schützen « , raunte Johann Adelheid zu, die tatsächlich ein wenig bei dem Gedanken, die Nacht in einer heidnischen Kultstätte zu verbringen, fröstelte.
» Habt Dank, aber die Mutter Gottes wird mir im Gebet gewiss beistehen « , gab sie zurück. Es war ihr plötzlich– jetzt, wo die Nacht nahte– unwohl dabei, dass dieser junge Mensch sie immer offensichtlicher zu umgarnen begann. Und noch unwohler war Adelheid, bemerken zu müssen, dass es ihr gefiel.
Hatte sie ihm etwa Hoffnungen gemacht? Oder war schlussendlich sie selbst voller Hoffnung?
Die Augen fest auf den teuflischen Hügel geheftet, begann sie Gebete zu murmeln. Das half. Das half stets, wirre Gedanken zu vertreiben und sich ganz auf die reine, unbefleckte Welt in ihrem Inneren zu konzentrieren.
Ihre einzige Hoffnung, so versuchte sie sich zu verdeutlichen, war, dass sie bald an einem Kloster der armen Schwestern vorüberkamen, welches seine heiligen Pforten für Adelheid öffnete, um sie aus diesem versuchungsreichen Leben zurück in die schützenden Arme Gottes zu führen.
Trotz der feuchtkalten Bedingungen, trotz der recht schaurigen Umgebung und trotz des notdürftig errichteten, zugigen Zeltlagers waren alle nach dem langen Tagesmarsch rasch eingeschlafen. Alle außer Marie, Regino und Maja.
Die drei streiften wie Mondsüchtige auf dem Plateau des Hügels umher. Jeder von ihnen an anderer Stelle, und jeder von ihnen aus anderem Beweggrund.
Regino sann darüber nach, ob es tatsächlich klug gewesen war, Aschersleben und somit ein weiteres Zusammentreffen mit Vitus Fips zu umgehen. Eine plötzliche Eingebung war es gewesen, die ihn hadern und schließlich handeln ließ, und im Grunde fühlte er sich gut, ja heldenhaft, wenn er darüber nachdachte, dass allein der Schutz Maries und der beiden Stiftsfräulein ihn zu diesem Ungehorsam verleitet hatte. Aber zudem– und das gestand er sich nur widerwillig ein– galt es den sturen Bauern Filzhut zu schützen, mit dessen unbrauchbarer Gestalt Fips gewiss kurzen Prozess machen oder Selbiges womöglich von Regino verlangen würde. Nein, das wollte er bei allem Missmut, den Filzhut in ihm hervorgerufen hatte, nun doch nicht tun.
Dennoch, die Sache war damit nicht aufgehoben,
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