Die Flucht: Roman (German Edition)
davon probieren wollte, teilte der Hirte sich das Fleisch mit dem Hund. Es gab noch Reste von Mandeln und Rosinen in einem Körbchen, die der Alte dem Jungen jedoch nicht anbot, und er fragte auch nicht danach.
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M itten in der Nacht weckte ihn der Alte. Sie verließen die Grube so, wie sie gekommen waren, und umrundeten sie, als sie sich oben befanden, bevor sie in Richtung Norden abbogen. Anders als am Tag zuvor fühlte der Junge sich nun ausgeruht und weniger besorgt. Sie durchquerten die Ebene im schwachen Schimmer des Mondes, der noch nicht den Boden beschien, auf den sie den Fuß setzten. An das Geschirr des Esels geklammert, wirkte der wiegende Trott des Tieres ebenso monoton auf den Jungen wie die Landschaft, durch die sie zogen. Nichts als Schwärze hoch über ihren Köpfen, am Horizont und auf dem Brachland. Vom Alten geführt und vom Esel gehalten, verlor er sich in Erinnerungen an den Ort, aus dem er stammte. Sein Dorf, erhaben über dem Grund eines breiten Taleinschnitts, durch den irgendwann einmal Wasser geflossen war, der sich jetzt aber nur noch als eine lange Schneise mitten durch die endlose Ebene zog. Die Häuser, viele von ihnen leer, scharten sich größtenteils um die Kirche und den mittelalterlichen Palast. Rundum dann wie ein Asteroidengürtel eine Vielzahlan Hütten im Umland, Spuren von Obst- und Gemüsegärten, die das Dorf einst ernährt hatten. In den Gassen Mauern aus gekalktem Bruchstein mit sattelförmigen Ziegeldächern. Die Fenster mit grob gehämmerten schmiedeeisernen Gittern und die Eingänge mit Vorhängen versehen, hinter denen sich die blechernen Türflügel verbargen. Die Hoftore fest verriegelt, um Holzkarren, Dreschflegel und sonstige Gerätschaften sicher unter Verschluss zu halten. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, als die Ebene vor Getreide nur so strotzte. An windigen Frühlingstagen die Getreidefelder wie ein wogendes Meer. Grüne, herrlich duftende Wellen in froher Erwartung der sommerlichen Sonnenwärme. Derselben, die jetzt den Lehmboden zum Gären brachte, bis er rissig wurde und zu Staub zerfiel.
Er erinnerte sich an den mit Olivenbäumen bewaldeten Streifen, der sich am Nordhang des alten Flussbetts entlangzog. Dort, wo er Zuflucht gefunden hatte. Eine unverwüstliche hölzerne Heerschar, die die Landschaft in die dunklen Farben von Leder tauchte. Oft wurden einzelne Laubkronen von zwei oder drei knorrigen Stämmen gleichzeitig gehalten, die aus der Erde ragten wie belaubte Greisenfinger. Nur selten sah man einen Olivenbaum von normalem Wuchs, stattdessen wimmelte es nur so von knotigen, zerklüfteten Stämmen mit trockenen Schrunden, in die irgendwann einmal Wasser eingedrungen war, bis es gefror und das Holz hatte bersten lassen. Wie ein Haufen Soldaten, zurück von der Front. Verwundet, aber noch auf dem Marsch. Einem Marsch, der schon so lange dauerte, dass niemand mehr an ein Vorankommenglaubte. Die Bäume als uralte Zeugen der Vergänglichkeit der Zeit.
In Gedanken folgte er der Eisenbahnstrecke, die das Dorf dem Verlauf des alten Tals gleich von Ost nach West durchquerte – auf einem erhöhten Bahndamm aus Kies und Schotter hinein ins Dorf und am anderen Ende wieder heraus. Der Ort wie mit einer Schere durchgeschnitten. Auf der einen Seite das eigentliche Dorf mit der Kirche, dem Rathaus, der Kaserne und dem Palast. Auf der anderen eine Siedlung niedriger Häuser, die sich um eine verlassene Essigfabrik drängten. Die Deckengewölbe einiger Hallen waren eingefallen, und aus einem lecken Tank entwich ein ekelerregender Gestank, Tag für Tag dosiert wie ein ewiger Fluch. Die Stunden, die sie in der Grube verbracht hatten, kamen ihm im Vergleich mit den unsichtbaren Ausdünstungen jenes Ortes geradezu angenehm vor. Auf der Höhe der Fabrik verzweigten sich die Gleise auf drei Spuren. Auf der einen Seite stand das Bahnhofsgebäude mit seinen vernieteten Eisenauskragungen und zerbrochenen Fensterscheiben. In der Mitte gab es einen Bahnsteig, wie eine längliche Insel mit einem halben Dutzend mickriger Gaslaternen. Dann noch die Viehverladehalle aus Ziegelstein und zwei Schuppen, die Türen mit Brettern vernagelt. Über dem letzten Gleis ragte ein blassgelbes Getreidesilo auf, gekrönt von einem roten Schild mit der Aufschrift ELECTRA. Ein Gebäude, das aus dem Rahmen fiel, von aufdringlicher Maßlosigkeit, von dessen Dach aus der Blick bis zu den fernen Bergen im Norden reichte, wo die Meseta endete. Ein Massiv, das einen Schatten von schmerzlicher
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