Die Flucht
drinnen! Und du bist das Schönste, was es im ganzen Universum gibt. In New World bist du sowieso das Schönste, und in New Elizabeth bist du ohne jede Konkurrenz, so viel ist sicher.«
Ich werde rot, das weiß ich genau, aber die Sonne steht noch nicht hoch genug, dass es jemandem auffallen könnte.
»Ich wünschte, dein Pa wäre hier, um dich zu sehen, Todd, aber New World und unser Herr im Himmel haben es so gefügt, dass er vor fünf Monaten von einer Krankheit dahingerafft wurde, und wir beide müssen nun auf ein Wiedersehen in einer andren Welt warten. Du siehst aus wie er. Nun ja, Säuglinge sehen eigentlich in erster Linie wie Säuglinge aus, dennoch kann ich dir versichern, dass du aussiehst wie er. Du wirst groß werden, Todd, denn dein Pa war ebenfalls groß. Du wirst stark werden, denn dein Pa war stark. Und du wirst hübsch werden, oh, so hübsch. Die Damen in New World haben noch keine Ahnung, was auf sie zukommt.«
Viola blättert die Seite um. Ich sehe sie nicht an, und ich spüre, dass auch sie mich nicht ansieht, was ganz gut ist, denn in Augenblick möchte ich ganz bestimmt nicht ihr lächelndes Gesicht sehen.
Denn wieder einmal ist das Verrückte passiert.
Ihre Worte sind nicht ihre Worte, sie kommen aus ihrem Mund und klingen wie eine Lüge, sind aber eine neue Wahrheit, erschaffen eine andere Welt, in der meine Ma mit mir redet, in der Viola mit einer Stimme spricht, die nicht die ihre ist, in der, zumindest für eine kleine Weile, diese Welt mir gehört, weil sie ganz für mich allein erschaffen worden ist.
»Lass mich dir etwas über deinen Geburtsort erzählen, Sohn. Es ist New World, ein Planet der Hoffnung ... «
Viola hält kurz inne, nur eine Sekunde lang, dann liest sie weiter.
»Vor genau zehn Jahren sind wir hier gelandet, auf der Suche nach einem neuen Leben, einem sauberen und einfachen, einem aufrichtigen und guten Leben, das in jeder Beziehung anders ist als jenes in der alten Welt. Die Menschen sollten sicher und in Frieden zusammen wohnen, gelenkt von Gott, in Liebe zum Nächsten.
Manche Hindernisse waren zu überwinden. Ich möchte diese Aufzeichnungen nicht mit einer Lüge beginnen, Todd, leicht war es nämlich nie nicht.
Ach herrje, hör sich das einer an, leicht war’s nie nicht. Was schreibe ich da meinem Sohn? Aber das ist das Siedlerleben, vermute ich. Man hat keine Zeit für gedrechselte Worte und sinkt leicht auf den Stand jener, die auf keinerlei Manieren Wert legen. Da sind ein paar schlampige Ausdrücke wohl zu verzeihen. Nun gut, lassen wir das. Mein erster Ausrutscher als Mutter. Rede du nur immer, wie dir der Schnabel gewachsen ist, mein Sohn, ich werde dich nicht maßregeln.«
Viola verzieht den Mund, aber als ich eisern schweige, liest sie weiter.
»Es dauerte nicht lange, da hielten Kümmernis und Krankheit Einzug in New World und in New Elizabeth. Hier auf diesem Planeten gibt es den Lärm. Er hat die Männer befallen, kaum dass wir gelandet waren, und so seltsam es mir auch erscheint, aber du bist einer der Jungen in der Siedlung, die es von Anfang an nicht anders kennen. Umso schwerer ist es, dir zu beschreiben, wie das Leben vorher war und warum es jetzt so kompliziert ist, obwohl wir uns so gut wie möglich damit ab finden.
Ein Mann namens David Prentiss – er hat übrigens einen Sohn, der nur wenig älter ist als du, Todd – ist einer, der das Heft in die Hand nimmt. Wenn ich mich nicht täusche, war er Betreuer auf dem Schiff ... «
Wieder hält Viola inne, und diesmal bin ich es, der darauf wartet, dass sie etwas sagt. Was sie nicht tut.
»Dieser David Prentiss überredete Jessica Elizabeth, unsere Bürgermeisterin, hinter einem ausgedehnten Sumpfland diese kleine Siedlung zu gründen, damit der Lärm von New World uns nicht überschwemmt, es sei denn, wir wollten es selbst. Lärm gibt es in New Elizabeth trotzdem noch genug, aber es ist unser eigener, von Leuten, die wir kennen, von Leuten, denen wir vertrauen. Größtenteils.
Meine Aufgabe hier ist es, auf einer Farm im Norden der Siedlung Weizenfelder zu bestellen. Seit dem Tod deines Vaters gehen mir zwei gute Freunde zur Hand, Ben und Cillian. Sie haben einen Hof gleich in der Nähe. Ich kann es kaum erwarten, dass du sie kennenlernst. Aber halt, du kennst sie ja bereits. Sie haben dich im Arm gehalten und dich begrüßt. Was sagt man dazu, kaum einen Tag auf der Welt, und schon hast du zwei Freunde! Das ist ein guter Start ins Leben, Sohn.
Ich bin überzeugt davon, dass du
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