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Die Flucht

Titel: Die Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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Hand wühle ich im Rucksack, bis ich auf das Erste-Hilfe-Päckchen stoße, das Ben mir mitgegeben hat. Ich halte es hoch.
    »Erste-Hilfe-Päckchen«, sage ich. Sie rührt sich nicht. »Ers-te Hil-fe«, wiederhole ich langsam. Ich deute auf die Stelle an meinem Oberarm, wo sich bei ihr die Schnittwunde befindet. »Du blutest.«
    Nichts.
    Seufzend rapple ich mich hoch. Sie weicht zurück, rutscht mit dem Hintern von mir weg. »Ich werde dir nicht wehtun.« Ich halte das Erste-Hilfe-Päckchen hoch. »Das ist Medizin. Sie stillt das Blut.« Immer noch keine Regung. Vielleicht weil nichts in ihr ist, das sich regen könnte.
    »Sieh mal«, sage ich und öffne es. Ich fummle darin herum, ziehe schließlich ein blutstillendes Pflaster hervor und reiße mit den Zähnen die Schutzhülle auf. Vermutlich blute ich an der Stelle, an der Aaron mir den Hieb versetzt hat und danach auch noch das Mädchen, deshalb nehme ich es und tupfe damit über mein Auge und die Braue. Ich nehme es wieder weg und ja, da ist Blut. Ich halte ihr das Pflaster hin. »Siehst du? Es stillt Blut.«
    Dann wage ich einen Schritt auf sie zu, nur einen. Sie weicht zurück, aber nicht mehr ganz so weit. Ich mache einen zweiten Schritt, dann noch einen, und dann stehe ich vor ihr. Sie hört nicht auf, mein Messer anzustarren.
    »Ich lege es nicht weg, das kannst du vergessen«, sage ich und betupfe ihren Arm. »Auch wenn der Stich tief ist, das hier schließt die Wunde, okay? Ich will dir helfen.«
    »Todd?«, bellt Manchee und es schwingen lauter Fragezeichen mit.
    »Einen Augenblick«, sage ich. »Hör zu, du blutest ziemlich stark. Ich kann dir helfen, okay? Aber komm bloß nicht auf dumme Ideen mit irgendwelchen blöden Holzstöcken, ja?«
    Sie beobachtet mich. Und beobachtet mich. Und beobachtet mich. Ich bemühe mich, so ruhig wie möglich zu bleiben, obwohl ich mich gar nicht danach fühle. Keine Ahnung, warum ich ihr helfe, obwohl sie mir auf den Kopf gehauen hat, aber ich kenne mich sowieso nicht mehr aus. Ben hat gesagt, die Antworten auf meine Fragen würde ich im Sumpf finden, aber da sind keine, da ist nur dieses Mädchen, das blutet, weil ich es verletzt habe, auch wenn ihm recht geschieht, aber wenn ich die Blutung stille, dann kommen wir vielleicht irgendwie weiter.
    Ich weiß nicht. Ich weiß nicht, was ich machen soll, also verarzte ich sie.
    Sie sieht immer noch zu, atmet immer noch schwer. Aber sie läuft nicht weg, und sie zuckt auch nicht zusammen, und dann, man merkt es kaum, so unmerklich ist die Bewegung, dreht sie den Oberarm ein wenig zu mir hin, damit ich besser an die Wunde komme.
    »Todd?«, bellt Manchee.
    »Pst«, weise ich ihn zurecht, denn ich möchte sie nicht noch mehr erschrecken. So nah an ihrer Stille zu sein, bricht mir fast das Herz. Ich kann sie fühlen, sie zieht mich in einen bodenlosen Abgrund, sie lockt mich, damit ich falle und falle und falle.
    Aber ich behalte die Nerven, ja, das tu ich. Ich bleibe ruhig und ich presse das blutstillende Pflaster auf ihren Arm, betupfe die Schnittwunde, die ziemlich tief ist, bis sie aufhört zu bluten und sich ein wenig schließt.
    »Du musst vorsichtig sein«, sage ich. »Ich habe die Wunde zwar versorgt, aber sie ist natürlich noch nicht verheilt. Das muss dein Körper selbst schaffen, okay?«
    Und sie schaut mich nur an.
    »Okay«, sage ich ebenso zu mir selbst wie zu Manchee und zu ihr, denn was soll ich nach der Verarztung tun?
    »Todd?«, bellt Manchee. »Todd?«
    »Und keine Stöcke mehr, einverstanden?«, sage ich zu ihr. »Schluss mit Kopfeinschlagen, okay?«
    »Todd?« Manchee gibt einfach keine Ruhe.
    »Und wie du dir denken kannst, heiße ich Todd.«
    Und da, genau da, im dämmrigen Abendlicht, da ist es, das erste Lächeln – oder doch nicht?
    »Kannst du ...?«, fange ich an und schaue ihr dabei so tief in die Augen, wie der Druck auf meiner Brust es zulässt. »Kannst du mich verstehen?«
    »Todd.« Manchees Bellen klingt jetzt schriller.
    Ich drehe mich zu ihm. »Was ist denn?«
    »Todd! Todd!!!«
    Und dann hören wir es alle drei. Trampeln zwischen Gebüsch und Geäst, hämmernde Fußschritte und Lärm, ja Lärm, oh verflucht noch mal, vor allem Lärm.
    »Steh auf«, sage ich schnell zu dem Mädchen. »Los! Beeil dich!«
    Ich schnappe meinen Rucksack und schultere ihn, sie sieht erschrocken aus, auf eine lähmende, wenig hilfreiche Weise, und ich schreie: »Schnell!« Und packe ihren Arm, ohne einen Gedanken an ihre Verletzung zu verschwenden, ich will sie

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