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Die Flucht

Titel: Die Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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keinen Lärm aussendet?
    Ob sie mich hören kann? Kann sie das? Kann ein Mensch, der keinen Lärm hat, überhaupt hören?
    Ich sehe sie an, und ich denke so laut und deutlich, wie ich nur kann: Kannst du mich hören? Kannst du’s?
    Doch sie verzieht keine Miene, zuckt nicht einmal mit der Wimper.
    »Okay«, sage ich. »Okay. Bleib einfach da stehen, ja? Bleib einfach stehen.«
    Ich weiche ein paar Schritte zurück, behalte sie jedoch im Auge, ebenso wie sie mich. Dann lasse ich das Messer sinken, streife den Rucksack über die Schulter, beuge mich vor undstelle ihn auf dem Boden ab. Das Messer fest umklammert, öffne ich mit der freien Hand den Rucksack und fische das Buch heraus.
    Das Ding ist schwerer, als ich dachte, und das obwohl es nichts weiter als Wörter enthält. Es riecht nach Leder. Vor mir habe ich Seiten über Seiten gefüllt mit der Handschrift meiner Mutter ...
    Nein, nicht jetzt. Das muss warten.
    »Pass auf sie auf, Manchee«, befehle ich meinem Hund. »Pass auf!«, bellt er zurück.
    Ich sehe mir die Innenseite des Buchdeckels an, und da ist das gefaltete Blatt Papier, so wie Ben gesagt hat. Ich falte es auseinander. Auf der Vorderseite ist eine von Hand gezeichnete Landkarte, auf der Rückseite lauter Geschreibsel, ein Gestrüpp aus Buchstaben, aber mein Lärm gibt einfach nicht genug Ruhe, also versuche ich mich erst gar nicht daran, sondern beschränke mich auf die Karte.
    Unser Haus ist oben am Rand eingezeichnet und die Stadt gleich darunter, ebenso der Fluss, an dem Manchee und ich entlanggegangen sind auf unserem Weg in den Sumpf. Aber da ist noch mehr, nicht wahr? Der Sumpf erstreckt sich noch weiter, bis er irgendwann wieder ein Fluss ist, und am Flussufer sind lauter Pfeile eingezeichnet, also wollte Ben wohl, dass Manchee und ich diesen Weg einschlagen, und ich folge mit dem Finger den Pfeilen und sie führen aus dem Sumpf heraus und direkt zur ...
    Rumms! Für eine Sekunde ist die Welt in grelles Licht getaucht, als mich etwas seitlich am Kopf trifft, genau an der Stelle, an der mich Aaron geschlagen hat, und ich stürze vornüber, aber während ich falle, reiße ich das Messer hoch, undich höre einen leisen Schmerzensschrei, und im letzten Moment fange ich mich ab und drehe mich zur Seite, sodass ich auf die Erde plumpse und dasitze, mir mit dem Handrücken über den schmerzenden Kopf fahre, ohne dabei das Messer fallen zu lassen, und schaue, woher der Angriff kam. Und da lerne ich auch schon meine erste Lektion: Dinge ohne Lärm können sich an einen ranschleichen. Sie können sich ranschleichen und du merkst nichts davon.
    Auch sie ist auf ihrem Hinterteil gelandet, und jetzt hockt sie in einiger Entfernung von mir auf dem Boden und presst die Hand auf den Oberarm. Zwischen den Fingern rinnt Blut hervor. Sie hat den Holzstecken fallen gelassen, mit dem sie mir eins übergezogen hat, und ihr Gesicht ist richtig eingefallen, so weh tut die Schnittverletzung.
    »Was, zum Teufel, sollte das ?«, schreie ich und taste mein Gesicht ganz vorsichtig ab. Mann, ich hab’s echt satt, geschlagen zu werden!
    Das Mädchen sieht mich stirnrunzelnd an und presst die Hand auf die Wunde.
    Die wie verrückt blutet.
    »Stecken, Todd«, bellt Manchee.
    »Und wo zum Teufel warst du?«, blaffe ich ihn an. »Kacken, Todd.«
    »Gaaah«, gurgle ich und schleudre mit dem Fuß Dreck auf ihn. Er weicht ein Stück zurück, und dann fängt er an, unter ein paar Büschen zu schnüffeln, so als wäre alles in bester Ordnung. Hunde haben eine Aufmerksamkeitsspanne von der Länge eines Streichholzes. Blöde Viecher.
    Es wird langsam dunkel, die Sonne geht unter, der ohnehin schon düstere Sumpf wird noch düsterer, und ich warte immernoch auf eine Antwort. Die Zeit verrinnt, und ich dürfte mich keinen Augenblick länger hier aufhalten und noch viel weniger umkehren, vor allem aber dürfte hier kein Mädchen sein.
    Junge, dieser Schnitt blutet wie wild.
    »Hey ...« Meine Stimme zittert, weil in mir alles drunter und drüber geht. Ich bin Todd Hewitt, denke ich. Ich bin fast ein Mann. »Hey«, wiederhole ich und versuche etwas ruhiger zu sein.
    Sie schaut mich an.
    »Ich werde dir nicht wehtun.« Mein Atem geht genauso keuchend wie ihrer. »Hörst du mich? Ich werde dir nicht wehtun. Solange du nicht wieder versuchst, mir eine überzubraten, okay?«
    Sie schaut mir in die Augen. Dann auf mein Messer. Versteht sie mich?
    Ich nehme die Hand vom Gesicht, lasse das Messer sinken, lege es aber nicht weg. Mit der freien

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