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Die Flucht

Titel: Die Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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es zu erkennen, wirklich und wahrhaftig. Sie schweigt, sieht mich nur an.
    Und das ist genug.
    »Lass uns gehen«, sage ich.
    Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, packen wir in Windeseile unsere Sachen zusammen. Ich schultere meinen Rucksack, sie ihre Tasche, Manchee springt auf und los geht’s, durch die Hintertür hinaus. Wir gehen, so einfach ist das. Es ist sicherer für Farbranch, das ganz bestimmt. Aber ob wir da draußen sicherer sind, wer weiß?
    Wer weiß schon, ob wir das Richtige tun? Angesichts dessen, was Hildy und Francia uns angeboten haben, fällt es nicht leicht fortzugehen.
    Aber wir tun es. Genau das tun wir.
    Denn am Ende entscheiden wir selbst. Ich habe es nicht sogern, wenn jemand sagt, was er alles für mich tun will, auch wenn es noch so gut gemeint ist.
    Inzwischen ist draußen dunkle Nacht, nur die beiden Monde leuchten hell. Alle im Dorf sind mit irgendetwas beschäftigt, daher hält uns keiner auf. Eine kleine Brücke führt über den Bach. »Wie weit ist es bis nach Haven?«, frage ich leise, während wir die Brücke überqueren.
    »Ziemlich weit«, flüstert Viola zurück.
    »Wie weit ist ›ziemlich weit‹?«
    Einen Augenblick lang sagt sie nichts.
    »Wie weit?«, wiederhole ich.
    »Ein paar Wochen Fußmarsch«, antwortet sie, ohne sich umzudrehen.
    »Ein paar Wochen!«
    »Was bleibt uns anderes übrig?«, sagt sie ruhig.
    Darauf weiß ich auch keine Antwort und so marschieren wir einfach weiter.
    Auf der anderen Seite des Bachs führt die Straße bis zu den weiter entfernten Hügeln am Rand des Tals. Wir schlagen diesen Weg ein, weil man so am schnellsten aus dem Dorf herauskommt, um nach Süden in Richtung Fluss zu gehen und dessen Lauf zu folgen. Bens Landkarte endet in Farbranch, daher haben wir nur den Fluss als Anhaltspunkt.
    Während wir Farbranch hinter uns lassen, begleiten uns so viele Fragen. Fragen, auf die wir wohl nie eine Antwort erhalten werden. Aus welchem Grund reiten der Bürgermeister und einige seiner Männer meilenweit, um in so kleiner Zahl irgendein verdammtes Dorf anzugreifen? Warum sind sie immer noch hinter uns her? Warum sind wir so wichtig für sie? Und was ist mit Hildy passiert?
    Und habe ich Matthew Lyle getötet?
    Und ist das, was er mich in seinem Gedankenlärm hat sehen lassen, am Ende tatsächlich wahr?
    War das die wahre Geschichte von Prentisstown?
    »Welche wahre Geschichte?«, fragt Viola, während wir den Weg entlanghasten.
    »Nichts«, sage ich. »Hör auf, mich zu belauschen.«
    Wir erreichen den letzten Hügelgrat genau in dem Moment, als eine Gewehrsalve im Tal widerhallt. Wir bleiben stehen und blicken zurück.
    Und da sehen wir es.
    Oh Mann, wir sehen es.
    »Mein Gott«, flüstert Viola.
    Das Tal funkelt im Lichtschein der beiden Monde, von den Häusern des Dorfs bis zu den Hügeln auf der anderen Seite mit den ausgedehnten Obstgärten.
    Wir sehen, wie die Männer und Frauen von Farbranch den Hügel hinunterrennen.
    Sie sind auf der Flucht.
    Und oben auf dem Hügel tauchen Reiter auf. Fünf, zehn, fünfzehn Männer auf Pferden.
    Das ist kein kleiner Spähtrupp. Ganz und gar nicht.
    »Das ist Prentisstown.« Ich habe das Gefühl, als würde die Welt vor meinen Füßen zerbröckeln. »Das ist verdammt noch mal jeder einzelne Bewohner von Prentisstown.«
    Sie haben dreimal mehr Leute, als es Bewohner in Farbranch gibt.
    Schüsse sind zu hören, und wir sehen die Männer und Frauen von Farbranch fallen beim Versuch, in ihre Häuser zu fliehen.
    Sie werden das Dorf überrennen. Und zwar noch ehe die nächste Stunde schlägt.
    Denn die Gerüchte stimmen. Die Gerüchte, von denen Francia sprach.
    Es war das richtige Wort. Sie sind eine Armee. Eine richtige Armee.
    Sie haben Viola und mir eine Armee hinterhergeschickt.

T EIL IV

20
    Eine Armee von Männern
    Wir verstecken uns hinter Büschen. Obwohl es dunkel ist, obwohl die Armee auf der anderen Seite des Tals liegt, obwohl die Männer nicht einmal wissen, dass wir hier oben sind, und sie bei der Aufregung, die hier herrscht, meinen Lärm bestimmt nicht hören können, verstecken wir uns. Du würdest es auch so machen.
    »Kann man mit deinem Fernglas im Dunkeln sehen?«, flüstere ich.
    Statt einer Antwort kramt Viola das Fernglas aus ihrer Tasche und hält es an die Augen. »Was geht da vor sich?«, fragt sie und drückt ein paar Knöpfe. »Wer sind diese Männer?«
    »Sie kommen aus Prentisstown«, sage ich und strecke die Hand aus. »Scheint so, als wäre jeder aus diesem Scheißkaff mit von

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