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Die Flucht

Titel: Die Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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ein lautes »Peng!«, das uns zusammenfahren lässt. Über Farbranch steigt eine qualmende Rauchwolke auf. Die Scheune, in der ich den ganzen Tag über gearbeitet habe, steht in Flammen.
    Vielleicht wird unser Schicksal eine andere Wendung nehmen, wenn wir nach links gehen, vielleicht wird sich das Unglück, das auf uns wartet, nicht ereignen, vielleicht wartet am Ende der linken Gabelung das Glück auf uns mit einer warmen Stube und Menschen, die uns lieben, ohne Lärm undohne Stille, aber mit Essen in Hülle und Fülle, und niemand stirbt dort, niemand, niemals.
    Vielleicht.
    Aber ich glaube nicht daran.
    Ich bin nicht gerade das, was man einen Glückspilz nennt. »In Ordnung«, beschließe ich. »Dann gehen wir eben nach rechts.«
    Wir laufen los. Manchee hat sich an unsere Fersen geheftet, die Nacht und eine staubige Straße liegen vor uns, eine Armee und eine Katastrophe liegen hinter uns, dazwischen gehen Viola und ich, Seite an Seite.
    Wir rennen, bis wir nicht mehr können, dann gehen wir schnell, bis wir wieder rennen können. Bald sind hinter uns die Geräusche von Farbranch verstummt, und alles, was wir noch hören, sind unsere eigenen Schritte, mein Lärm und Manchees Bellen. Falls es hier Nachtgetier gibt, vertreiben wir es jetzt ganz bestimmt.
    Was wahrscheinlich gar nicht schlecht ist.
    »Wie heißt die nächste Siedlung?«, keuche ich, nachdem wir eine gute halbe Stunde lang mal gelaufen, mal gerannt sind. »Hat Francia etwas davon gesagt?«
    »Shining Beacon«, antwortet Viola, die wie ich nach Luft ringt. »Oder Shining Light.« Sie legt die Stirn in Falten. »Blazing Light? Oder war es Blazing Beacon ?«
    »Das hilft uns wirklich weiter.«
    »Warte.« Sie bleibt jäh stehen, beugt sich vor, um nach Luft zu ringen. »Ich brauche Wasser.«
    Ich hebe die Hände, als wollte ich sagen: »Na und?« Stattdessen sage ich: »Ich auch. Hast du welches?«
    Sie sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Oh.«
    »Bis jetzt war immer ein Fluss in unserer Nähe.«
    »Ich denke, dann sollten wir ihn schleunigst suchen.«
    »Das denke ich auch.« Ich hole tief Luft, um wieder loszurennen.
    »Todd«, sagt sie. »Ich habe nachgedacht.«
    »Und?«, frage ich.
    »Das mit Blazing Light oder was auch immer ...«
    »Ja?«
    »Genau genommen ...« Sie spricht leiser, klingt traurig und nervös, zögert, setzt von Neuem an. »Genau genommen haben wir beide die Armee erst nach Farbranch gelockt.«
    Ich lecke mir über die trockenen Lippen, schmecke Staub. Und ich weiß genau, was sie sagen will.
    »›Du musst sie warnen‹«, sagt sie leise in die Dunkelheit hinein. »Es tut mir leid, aber ...«
    »Wir können in keine andere Siedlung gehen«, beende ich den Satz für sie.
    »Das glaube ich auch.«
    »Nicht bis Haven.«
    »Nicht, ehe wir in Haven sind«, sagt sie. »Wir können nur hoffen, dass dieser Ort groß genug ist, um es mit der Armee aufzunehmen.«
    Das wäre nun also geklärt. Nicht dass wir es nicht ohnehin schon gewusst hätten: Wir sind ganz auf uns allein gestellt. Wirklich und wahrhaftig. Ich und Viola und Manchee und die Dunkelheit, die uns Gesellschaft leistet. Da ist niemand, der uns unterwegs helfen könnte, wenn überhaupt jemals, bei dem Wahnsinnsglück, das wir bisher hatten ...
    Ich schließe die Augen.
    Ich bin Todd Hewitt, denke ich. Um Mitternacht sind esnoch siebenundzwanzig Tage, bis ich ein Mann bin. Ich bin der Sohn meiner Mutter und meines Vaters, mögen sie in Frieden ruhen, ich bin der Sohn von Ben und Cillian, mögen sie ...
    Ich bin Todd Hewitt.
    »Ich bin Viola Eade«, sagt Viola.
    Ich öffne die Augen. Sie streckt die Hand aus, mit der Handfläche nach unten streckt sie mir ihre Hand entgegen.
    »Das ist mein Nachname«, sagt sie. »Eade. E-A-D-E.«
    Einen Moment lang schaue ich sie an, betrachte ihre ausgestreckte Hand. Dann ergreife ich sie, drücke sie fest und lasse sie sofort wieder los.
    Ich bewege die Schultern, um meinen Rucksack zurechtzurücken. Mit der Hand taste ich nach dem Messer, um es zu spüren, mich zu vergewissern, dass es noch da ist. Ich blicke zu dem armen, hechelnden Manchee mit seinem verstümmelten Schwanz hin und dann zu Viola.
    »Viola Eade«, sage ich.
    Sie nickt.
    Und dann rennen wir los, tief in die Nacht hinein.

21
    Der Rest der Welt
    »Kann es wirklich noch so weit sein?«, fragt Viola. »Das ergibt doch überhaupt keinen logischen Sinn.«
    »Kennst du vielleicht einen anderen Sinn?«
    Sie legt die Stirn in Falten. Ich auch. Wir sind müde und werden

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