Die Formel der Macht
allein zu Hause herumhing. Ganz bestimmt.
“Hallo?”, kam Summers Stimme über die Gegensprechanlage. Sie klang abgelenkt.
“Hallo, hier ist Duncan.” Obwohl er im Außenministerium berühmt war für seine geistreichen Bemerkungen, war sein Kopf beim Klang ihrer Stimme plötzlich ganz leer geworden. Er konnte nicht mal etwas Geistreiches denken. Er konnte gar nicht denken, Punkt.
“Duncan! Ist heute nicht Samstag? Ich könnte schwören, dass Samstag ist.” Zumindest klang sie nicht verärgert, dass er sie so überfiel, sondern nur verwirrt, weil er einen Tag früher als verabredet aufgetaucht war.
“Es ist Samstag, aber ich habe ein paar Neuigkeiten für dich, die nicht warten können.”
“Wegen Joe?” Ihr Aufmerksamkeitspegel schnellte in die Höhe.
Duncan stieß in Gedanken einen Seufzer aus. “Ja, ich habe die Information über Joes Familie, um die du mich gebeten hast. Lass mich rein, okay, Summer? Das hier ist nicht der beste Weg, dich über seinen Stammbaum ins Bild zu setzen.”
“Natürlich. Entschuldige, ich habe nicht nachgedacht.”
Damit waren sie schon zwei. Der Türschließer summte, und er betrat das Haus, an dem scheppernden altmodischen Aufzug vorbei zu der ungefegten Treppe, die ihn zu Summers Apartment im dritten Stock brachte. Sie erwartete ihn bereits an der Tür, und sie wirkte tatsächlich erfreut, ihn zu sehen. Definitiv ein erstes Mal. Was er zweifellos Joe Malone zu verdanken hatte.
“Komm rein.” Sie trat einen Schritt zurück und hielt ihm die Tür auf. “Prima Timing, wirklich. Woher wusstest du, dass ich schon vom Büro zu Hause bin?”
Da weder sein Gehirn noch seine Stimmbänder funktionierten, folgte er ihr ohne etwas zu erwidern in die Wohnung und schaute sich interessiert um. Die sich aus verschiedenen Stilelementen zusammensetzende Wohnzimmereinrichtung passte perfekt zu ihrer vielschichtigen Persönlichkeit, entschied Duncan. Er schaute auf die weißen Wände und die mit praktischen Jalousien verkleideten Fenster. Sie standen in einem lebhaften Kontrast zu der reich verzierten Kamineinfassung sowie einem lebensgroßen Plüschschimpansen, der mit einer Nickelbrille auf der Nase gegen ein Kissen gelehnt auf dem Sofa saß und in einer Ausgabe von
National Geographic
las.
“Wer ist dein Freund?”, fragte er, auf den Schimpansen deutend. Nicht unbedingt eine geistreiche Bemerkung, die Geschichte machen würde, aber zumindest waren es Worte, die aus seinem Mund kamen, und sie klangen fast wie eine normale Unterhaltung.
“Das ist Algernon”, sagte sie und kraulte dem Affen liebevoll den Kopf. “Joe hat ihn mir vor zwei Jahren zu Weihnachten geschenkt. Ist er nicht wundervoll?”
Duncan unterdrückte ein unwürdiges Verlangen, entweder Joe oder Algernon zu zerstückeln oder am besten beide. “Er ist ein fescher Bursche”, sagte er. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr und schaute, ohne die geringste Ahnung zu haben, wie spät es war, wieder auf. “Ich will dich nicht lange aufhalten, wenn du heute Abend noch etwas vorhast.”
“Ich habe nichts vor.” Summers Finger streichelten liebevoll Algernons Fell. Duncan fragte sich, ob ein normaler Mensch auf ein Stofftier eifersüchtig sein konnte.
“Du hast gesagt, dass du Neuigkeiten von Joe hast …”, drängte Summer.
Duncan schrak aus Fantasien auf, die ihn und Summer zum Gegenstand hatten und wahrscheinlich sogar Algernon veranlasst hätten, von der
National Geographic
aufzuschauen. “Ja. Ich habe die Information über seinen familiären Hintergrund, um die du mich gestern gebeten hast.”
“Wahnsinn, Duncan! Du bist wirklich schnell. Danke.”
“Ich habe einen Freund in Brasilien angerufen, der es für mich herausgefunden hat.” Er hatte erst ein halbes Dutzend Freunde und Kollegen, die ihm noch einen Gefallen schuldeten, nerven müssen, ehe er die benötigte Information bekommen hatte. “Malones Vater war Professor an der Duke University. Ich nehme an, das weißt du.”
Sie nickte. “Er muss schon Ende vierzig gewesen sein, als Joe geboren wurde, denn als er vor drei Jahren starb, war er mindestens achtzig. Joes Mutter war seine zweite Frau, das weiß ich ganz sicher.”
“Ja. Professor Malone hat zweimal geheiratet, und Joes Mutter war viel jünger als ihr Mann. Sie war brasilianischer Abstammung und hieß Anna Constanza Ribeiro.”
“Und sie ist inzwischen auch tot. Ich glaube, es war keine große Überraschung für Joe, als sie starb, aber er war trotzdem sehr traurig. Sie
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