Die Formel der Macht
beim Rausgehen um die Rechnung.” Olivia ging ohne nach rechts oder links zu schauen davon.
Dieses eine Mal hatte Summer den Eindruck, dass ihre Stiefmutter die leise geflüsterten ehrfürchtigen Kommentare, von denen ihr Abgang begleitet war, tatsächlich nicht hörte.
15. KAPITEL
E s war nach acht, als Summer wieder bei sich zu Hause in New York angelangt war. Sie fühlte sich müde und deprimiert, nicht nur, weil es ein langer, anstrengender Tag gewesen war, sondern auch, weil ihre Treffen in Washington so unproduktiv gewesen waren. In ihrem tiefsten Innern hatte sie sich irgendwelche sofortigen Ergebnisse von den Begegnungen mit Olivia und Julian Stein erhofft. Stattdessen war Olivia wie üblich vernichtend gewesen, was nicht so schlimm gewesen wäre, wenn nicht gleichzeitig ihre Erklärung, warum sie in Fernandos Begleitung nach New York gefahren war, so absolut überzeugend geklungen hätte. Summer hatte den starken Verdacht, dass die Beziehung zwischen ihrer Stiefmutter und Fernando unterschwellig sexueller und koketter gewesen war, als Olivia im Nachhinein lieb war. Und wenn schon? Es war ziemlich sicher anzunehmen, dass Joseph Malone nicht in den Fängen der Gerechtigkeitsliga gelandet war, weil Olivia und Fernando sich aneinander gerieben und dabei ein paar Funken erzeugt hatten.
Julian Stein war ebenfalls gewesen wie immer: kühl, kompetent und ihre Theorien mit höflicher Skepsis verfolgend. Die Marmorhallen und die nüchtern ausgestatteten kleinen Büros des FBI-Gebäudes schienen speziell dafür entworfen zu sein, Emotionen zu dämpfen und aufgeregte Bürger daran zu erinnern, dass das FBI mit nachweislichen Tatsachen arbeitete und nicht mit wilden Spekulationen. Summer hatte sich mächtig getadelt gefühlt.
Sie konnte sich nicht darüber beklagen, dass der Direktor unkooperativ oder offen ablehnend gewesen wäre. Er hatte Interesse erkennen lassen, als sie ihm die Diagramme und die Fotos übergab, die Joe ihr geschickt hatte, und ihr sogar ein Kompliment zu ihrer Kombinationsgabe gemacht, weil sie es geschafft hatte, aus einem so wenig versprechenden Ausgangsmaterial eine Landkarte zu basteln. Er hatte versprochen, mit der New Yorker Polizei in Verbindung zu bleiben und einen genauen Bericht über den Mord an Fernando einzuholen. Wenn es außer ihrem Verwandtschaftsgrad irgendwelche Verbindungen zwischen den beiden Männern gäbe, würde er es herausfinden, hatte er Summer versprochen. Und ja, er stimmte absolut zu, dass Dr. Malone ein neues Medikament entdeckt haben konnte und, falls ja, war es sehr gut möglich, dass er mit seinem Cousin Fernando da Pereira über eine Zusammenarbeit bei der Produktion gesprochen hatte. An diesem Punkt war der Direktor verstummt und hatte bei Summer den untrüglichen Eindruck hinterlassen, dass er keinen zwingenden Grund sah, warum irgendein vernünftiger Mensch Joes geschäftliche Angelegenheiten mit seinem Verschwinden in den Fängen der Gerechtigkeitsliga in Zusammenhang bringen sollte.
Statt sie zu beruhigen, hatten die Gelassenheit des Direktors und sein gemessener Tonfall in Summer das panische Gefühl ausgelöst, dass Joes Chancen zu überleben mit derselben Geschwindigkeit dahinschwanden, mit der Julian Stein seine logischen, methodischen Schritte zu seiner Auffindung skizzierte.
Während des Rückflugs versuchte sie sich zu beruhigen, indem sie sich sagte, dass sie alles getan hatte, was in ihrer Macht stand, um Joe zu retten. Wenn es helfen würde, ihn zu finden, würde sie sich auf der Stelle ins Flugzeug nach Brasilien setzen und im Regenwald nach dem Dorf des Stammes auf der Karte suchen, die Joe ihr geschickt hatte, aber es war höchst unwahrscheinlich, dass er dort festgehalten wurde.
Entschlossen, ihren unproduktiven Gedankengängen, die sie verfolgten, seit sie das Büro des FBI-Direktors verlassen hatte, ein Ende zu setzen, bezahlte Summer den Taxifahrer und ging forschen Schritts über den Bürgersteig zu ihrem Haus. Wenigstens war sie wieder in Manhattan, und das war ein entschiedenes Plus. Washington hatte schon immer eine deprimierende Wirkung auf sie gehabt, vielleicht weil sie es mit traurigen Besuchen als Heranwachsende bei ihrem Vater in Verbindung brachte. Ihre Mutter hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie die gesellschaftliche Szene in Washington lächerlich fand. Als Jugendliche hatte sich Summer mit ihrer Mutter über die absurden Verrenkungen oft lustig gemacht, die die Politiker in der verzweifelten Hoffnung aufführten,
Weitere Kostenlose Bücher