Die Formel der Macht
sehen.
Wer immer Goulart bestochen hatte, klar war, dass dieser Anwalt keinen nützlichen Rat zu geben bereit war. Der Memorial Day stand kurz bevor, aber bei der Geschwindigkeit, die Goulart vorlegte, würde der Memorial Day 2002 verstreichen, bevor es überhaupt zur Vorverhandlung kam. Die Anklage gründete sich ausschließlich auf Indizien, und jeder anständige Anwalt hätte sie innerhalb von Stunden vom Tisch gewischt oder zumindest innerhalb von ein paar Tagen. Goulart hatte nichts getan, deshalb versuchte Joseph verzweifelt, selbst einen Anwalt zu finden.
Untersuchungshäftlingen waren pro Woche vier Telefonate erlaubt, allerdings war es Vorschrift, dass man sie bündelte, und Joseph hatte es außer beim ersten Mal, als er ihm von seiner Verhaftung berichtet hatte, nie mehr geschafft, Fernando zu erreichen. Seit dem Tag seiner Inhaftierung hatte sich unter der Kontaktnummer, die er und Fernando Wochen vor Josephs Abreise für den Notfall eingerichtet hatten, niemand mehr gemeldet. Am Freitag war er so verzweifelt gewesen, dass er sogar Summer angerufen hatte, obwohl er sich geschworen hatte, sie nicht noch weiter in die Kriegszone hineinzuziehen, zu der sich sein Leben entwickelt hatte. Dass er ihr die CD vom Flughafen in Manaus aus geschickt hatte, war schon schlimm genug, aber sie war die einzige Person, der er etwas so Lebenswichtiges anvertrauen konnte. Als sie das Telefon nicht abgenommen hatte, war er nicht sicher gewesen, ob er erleichtert oder enttäuscht sein sollte.
Übers Wochenende war seine Verzweiflung noch gewachsen, und jetzt wartete er mit Ungeduld auf seine zwei Stunden Freizeit und die Erlaubnis zu telefonieren, als ein Gefängniswärter mit einer nagelneuen Anstaltskluft in seine Zelle kam und ihm mit den üblichen groben Worten befahl, sie anzuziehen.
“Besuch”, sagte er.
“Besuch? Wer?”
“Schnauze und anziehen.”
Joseph war mehr als bereit, zu gehorchen. In der Sekunde, in der er seine Kleider gewechselt hatte, stieß ihn der Wärter – ein stiernackiger Sadist namens Erickson – aus der Zelle. “Los, Arschloch, beweg dich. Ein bisschen dalli.”
“Wohin bringen Sie mich?”
“Schnauze hab ich gesagt.” Um seine Worte zu unterstreichen, versetzte Erickson ihm mit seinem Schlagstock einen Hieb gegen die Waden. “Auf geht's, Beeilung. Du hast wichtigen Besuch.”
“Wer ist es? Mein Anwalt?” Joseph schlurfte schneller, die Ketten rasselten.
“Das merkst du schon noch. Außerdem hab ich gesagt Schnauze.” Der Wärter streckte die Hand aus und riss Josephs Kopf an den Haaren zu sich herum, sodass sie Nase an Nase waren. Ericksons Atem roch nach Knoblauch und Pfefferminzkaugummi. “Und pass auf, was du sagst, Doc, kapiert? Du erzählst allen, wie nett wir hier zu dir sind, hast du das geschnallt? Wenn nicht, kannst du dich auf eine Abreibung gefasst machen. Alles klar?”
“Ja.”
“Dann denk dran, Arschloch.” Erickson klang kleinlauter als sonst, was möglicherweise Gutes verhieß. Alles, was Erickson kleinlauter machte, war für Joseph ein Schritt in die richtige Richtung. Seine Gedanken wirbelten wild durcheinander, und während er die Gefängnisflure hinunterstolperte, blitzte unter seiner Verzweiflung ein winziger Hoffnungsschimmer auf. Die Tatsache, dass sie ihm eine neue Kluft gegeben hatten, deutete eher darauf hin, dass ihn jemand Wichtiges erwartete, als dass sie ihn zu einem weiteren nutzlosen Gespräch mit seinem unfähigen Anwalt holten. Und die Tatsache, dass Erickson so kleinlaut war, bestätigte diese Vermutung.
Sie gingen an der Besuchszone vorbei, wo sich die Gefangenen normalerweise mit ihren Anwälten besprachen und erreichten die schwere Stahltür, die das Gefängnis vom Verwaltungstrakt trennte. Als Erickson die massive Tür aufschloss, konnte Joseph seinen Optimismus nicht länger dämpfen. Fernando musste seine weitreichenden Beziehungen genutzt haben. Gott sei Dank!
Der Wärter blieb vor der letzten Absperrung stehen, die aus vom Boden bis zur Decke reichenden Eisengittern bestand. Er rückte seinen Kragen zurecht und strich seine Jacke glatt, dann drehte er sich zu Malone um. “Bereit, Arschloch?”
“Bereit wofür?”
“Verarsch mich nicht.” Ericksons Erwiderung kam automatisch, aber der übliche Hieb mit dem Schlagstock blieb aus. Die Zungenspitze zwischen den Lippen, gab er den Code ein, und die Sperre öffnete sich. Er führte Joseph durch die Eingangshalle zu einer Zimmertür, die von zwei Männern in dunklen Anzügen
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