Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
kleinen Schlüssel für ein lächerlich kleines Schloss, aber mehr hatte ich nicht, das Ganze konnte sowieso nur ein Albtraum sein, und als ich ihn gefunden hatte, habe ich mein Schlafzimmer abgeschlossen. Man braucht nur ein paar rituelle Gesten zu machen, um Albträume zu bannen. Am nächsten Morgen habe ich mich selbst gewundert, dass die Tür mit so einer kleinen Verriegelung abschließbar war. Ahmed war weg. Mit Gewehren und Pistolen bewaffnete Typen aus der Nachbarschaft, Typen in kurzärmligen Hemden, die ich alle kannte, sind zu mir gekommen und haben mich gefragt, wo er sei. Aber ich hatte keine Ahnung. Sie wollten ihn mitnehmen und ihn an die Wand stellen. Aber er war weg. Ich war erleichtert, dass er weg war. Die bewaffneten Typen haben mir gesagt, dass es in den Bergen jetzt Banditen gäbe. Und Ahmed, sagten sie, habe sich ihnen vielleicht angeschlossen. Aber es hat so viele Durchkämmungsaktionen, Liquidierungen und hastige Massenbegräbnisse gegeben, dass er vielleicht verschwunden war; richtig verschwunden, ohne ein Spur zu hinterlassen. Man weiß nicht, wie viele Tote es gegeben hat. Niemand hat sie gezählt. All die Verletzten, die ich behandelt habe, waren Europäer. Denn in jenen Wochen gab es keine Verletzten unter den Arabern. Die Araber wurden getötet.
Weißt du, was eine Durchkämmungsaktion ist? Man durchkämmt ein ganzes Gebiet und stöbert die Gesetzlosen auf. Wochenlang hat man den für die Gräueltaten des 8. Mai Verantwortlichen nachgestellt. Keiner sollte entkommen. Alle haben daran mitgewirkt: die Polizei natürlich, aber die reichte nicht, und dann die Armee, aber auch die reichte nicht, und dann die Leute vom Land, die so etwas gewohnt sind, aber auch Leute aus der Stadt, die sich diese Gewohnheiten angeeignet haben, und selbst die Marine, die die Dörfer an der Küste aus der Ferne beschossen hat, und die Luftwaffe, die die unzugänglichen Dörfer bombardiert hat. Alle haben zu den Waffen gegriffen, und alle Araber, die man verdächtigte, in irgendeiner Weise mit diesen Gräueltaten etwas zu tun zu haben, sind geschnappt und liquidiert worden.«
»Alle? Und wie viele waren das?«
»Tausend, zehntausend, hunderttausend, was weiß ich? Wenn nötig, sogar eine Million; alle. Sie haben den Verrat im Blut. Es gibt keine andere Erklärung, warum hätten sie sich sonst auf uns gestürzt, obwohl wir schon seit so langer Zeit zusammenleben? Alle, wenn es nötig gewesen wäre. Alle. Jetzt haben wir zehn Jahre lang Ruhe.«
»Und woran hat man sie erkannt?«
»Wen, die Araber? Soll das ein Scherz sein, Victorien?«
»Nein, die Schuldigen.«
»Die Schuldigen waren Araber. Und es ging darum, niemanden entkommen zu lassen. Selbst auf die Gefahr hin, dass es ein paar Unschuldige erwischte. Das Übel musste so schnell wie möglich bei der Wurzel gepackt und ausgerottet werden, Schluss, aus. Die Araber haben sich alle etwas vorzuwerfen, mehr oder weniger. Man braucht sich nur anzusehen, wie sie gehen und wie sie uns ansehen. Sie sind alle auf irgendeine Art Komplizen. Es sind weitverzweigte Familien, weißt du. Wie Stämme. Sie kennen sich alle und unterstützen sich gegenseitig. Und daher trifft sie alle mehr oder weniger die Schuld. Es ist nicht schwer, sie zu erkennen.«
»1944 haben Sie etwas ganz anderes gesagt. Da haben Sie von Gleichheit gesprochen.«
»Die Gleichheit ist mir scheißegal. Damals war ich jung, ich war in Frankreich und wir waren dabei, den Krieg zu gewinnen. Aber jetzt bin ich bei mir zu Hause und habe Schiss. Kannst du dir das vorstellen? Bei mir zu Hause, und ich habe Schiss.«
Seine Hände zitterten, seine Augen waren rot umrandet, und seine Schultern waren so gebeugt, als wollte er sich zu einer Kugel zusammenrollen. Er schenkte sich nach und betrachtete Salagnon stumm.
»Victorien, du solltest Euridice aufsuchen. Ich bin jetzt müde. Sie ist mit ein paar Freunden am Strand. Sie freut sich bestimmt, dich zu sehen.«
»Am Strand im Oktober?«
»Ja, was bildest du dir bloß ein, kleiner Franzose? Glaubst du, der Strand würde Ende August eingerollt, wenn der Urlaub deiner Landsleute zu Ende ist und sie wieder nach Hause fahren? Der Strand ist immer da. So, nun geh, Euridice wird sich freuen, dich zu sehen.«
Am Strand von Algier braucht man nicht unbedingt zu baden. Der Küstenstreifen ist nicht breit, nur ein schmaler Sandstrand, und kurze Wellen schlagen gegen Felsen, die mit plötzlicher Ungeduld aus dem Wasser ragen. Der Sand trocknet in der starken Sonne
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