Die Frau am Tor (German Edition)
entschieden, dass sie ihm ebenfalls wie eine andere vorkam:
“ Lass mich einfach in Ruhe! Verschwinde! Hau ab!”
Und dann ging er, verschärfte abermals das Tempo zu und verfiel in einen Laufschritt, als er in einiger Entfernung vor sich die Lichter einer Kreuzung blinken sah. Seine Beine gehorchten ihm und trugen ihn, entgegen allen Regeln der Wahrscheinlichkeit, derer er sich dunkel entsann. Von irgendwo aus seinem Inneren kamen mehrmals Warnungen, es könne von einer Sekunde zur nächsten mit ihm zu Ende sein – ähnlich wie mit Heiko Krollmann, den ein solches Schicksal sogar in weit jüngeren Jahren und ohne vorherige körperliche Strapazen ereilt hatte. Doch er achtete nicht darauf.
Am Himmel zeigten sich bereits verhaltene Vorboten der Morgendämmerung, als er irgendwann einem Taxi winkte. Erst beim Bezahlen ging ihm auf, dass es kaum noch gelohnt hatte, sich dieses letzte Stück fahren zu lassen. Außerdem bemerkte er, dass er nach wie vor die Handschuhe anhatte. Es war schwierig, sie von den Fingern zu bekommen, und der Fahrer drohte schon ungeduldig zu werden, als er sie schließlich verstohlen in seiner Jackentasche schob.
24.
“ Robert, los, nun wach auf! Was ist denn mit dir?”, sagte eine Stimme – die nächste, die an sein Ohr drang. Aber es war eine gute Stimme, eine Stimme, die ehrlich besorgt klang und keine, die irgendwelche Sorgen oder Schlimmeres bei ihm ausgelöst hätte. Eine Hand berührte beinahe traumleicht seine Wange, aber er wusste bereits, dass er nicht schlief, noch bevor er die Augen aufschlug und und das Gesicht Evas sah, die sich über ihn beugte und leise auf ihn einredete. Er stellte fest, dass es hell war und er in seinem Bett lag, angekleidet bis auf die Schuhe und die Jacke.
Er wollte mit einem Ruck aufstehen, aber Eva drückte ihn sanft zurück.
“ Nun mal langsam, lass dir ruhig Zeit. Ach, ich bin ja erst einmal so froh, dass du hier bist und wieder wach bist. Geht es dir auch gut? Du siehst nicht so aus. Brauchst du vielleicht Hilfe? Ist dir schlecht geworden? Soll ich einen Arzt rufen? Getrunken hast du ja offensichtlich nicht wieder. Aber ich habe mir große Sorgen gemacht, als du wieder nicht ans Telefon gegangen bist. Eigentlich wolltest du dich doch auch schon gegen Mittag melden. Und was ist denn eigentlich mit deinem Handy? Darüber bist du ja gar nicht mehr zu erreichen.”
Es tat zwar gut, ihre Stimme zu hören, das ja. Aber weshalb musste sie nur immer in einem fort reden?
Offenbar war sie eben erst zur Tür hereingekommen. Sie hatte ihre Handtasche noch über der Schulter, während sie halb auf der Kante seines Bettes hockte. Als er sich nach einer kleinen Weile dann doch langsam aufrichtete, um aufzustehen, erhob sie sich und machte ihm Platz.
Sein ganzer Körper fühlte sich matt und ausgezehrt an, aber es war kein quälendes, nicht einmal ein wirklich unangenehmes Gefühl, sondern es erinnerte ihn an Zustände, die er aus seinen früheren Zeiten kannte, als er sich auf den Reisen manchmal zu viele Strapazen zugemutet hatte, weil es die Umstände erforderten; er brauchte danach nur eine gewisse Zeit, um sich zu regenerieren. Richtig unangenehm war allerdings das Brennen unter seinen Fußsohlen. Er schätzte, dass sie von Blasen übersät waren.
“ Es ist alles in Ordnung, es geht mir gut”, sagte er. “Ich war nur furchtbar müde nach meiner wahrscheinlich doch etwas übertrieben langen Abendwanderung. Ich habe mich schlichtweg verschlafen und nicht mal das Telefon gehört. Aber diesen kleinen Gewaltmarsch habe ich einfach gebraucht, um wieder richtig klar zu werden und all das, nun ja, irgendwie loszuwerden oder auszuschwitzen oder was auch immer.”
Sie schaute ihn forschend an, schien sich aber damit zufrieden zu geben.
“ Weißt du, ich habe mir folgendes überlegt”, schlug sie ihm vor. “Wie wäre es, wenn du jetzt zum Wochenende mit zu mir kämst? Das wäre doch eine Abwechselung, für uns beide. Wir könnten es uns einfach mal gut gehen lassen, vielleicht ein bisschen ins Umland fahren, aber wir müssen ja nicht immer so furchtbar viel unternehmen. Und ich könnte mich mal so richtig um dich kümmern, dich ein bisschen aufpäppeln. Du siehst aus, als hättest du das nötig. Ehrlich gesagt, siehst du regelrecht ein bisschen abgezehrt aus. Ich meine, du warst ja immer eher schlank, zum Glück, und ich weiß es zu schätzen, wie du auf deine Figur achtest, aber mager oder dürr musst du ja nun nicht werden.”
Wieder musste er
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