Die Frau am Tor (German Edition)
und feststellen, dass er an einem Herzinfarkt oder Schlaganfall oder woran auch immer plötzlich gestorben war, jedenfalls nicht durch Fremdeinwirkung, und alles andere sollte ihn, Robert Kessler, dann nicht mehr kümmern. Falls Sie irgendwo eine Leiche im Keller oder sonst wo in Ihrem Haus haben – wenden Sie sich vertrauensvoll an Robert Kessler, der macht das schon, ging ihm durch den Kopf, und er hätte in einer neuerlichen Aufwallung von Selbstverachtung beinahe bitter aufgelacht.
Als eine langgezogene leichte Kurve in sein Blickfeld kam, nahm er den Fuß vom Gas und begann abzubremsen, bis die Tachonadel unter dreißig gefallen war. Dann ließ er den Wagen über das Bankett rollen und lenkte etwas nach rechts, über den Randstreifen hinaus, der in eine kleine Böschung überging, brachte ihn schließlich bei leichter Schrägneigung zum Stehen und zog die Handbremse fest, ließ aber den Motor weiterlaufen und die Scheinwerfer eingeschaltet.
Zeitweise hatte er mit der Idee gespielt, Krollmanns Auto kontrolliert gegen einen Baum zu setzen, doch dann war ihm gerade noch eingefallen, dass sich dabei die Airbags öffnen könnten, die der Wagen immerhin schon besaß, was zusätzliche Komplikationen mit sich gebracht hätte, und er hatte schnell wieder Abstand davon genommen.
Nein, so war es besser. Er wollte es so aussehen lassen, als sei der Fahrer von seinem letztlich tödlichen Schwächeanfall überrascht worden und dann bei immer geringer werdender Geschwindigkeit, nachdem ihm der Fuß vom Gaspedal gerutscht war, irgendwann im Graben gelandet. War das ein realistisches Szenario? Er fand, ja. Blieb nur noch die Aufgabe, Heiko Krollmann auf dem Fahrersitz zu platzieren, was sich ärgerlicherweise als schwieriger erwies als gedacht, trotz des geringen Körpergewichts.
Um Platz zu gewinnen, damit der den Leichnam herüberziehen konnte, musste er zunächst aussteigen. Doch aufgrund der dadurch veränderten Gewichtsverteilung begann sich der Wagen sofort zur Seite zu neigen und drohte ins Rutschen zu geraten. Mit hastigen Griffen löste er die Beifahrergurte, aber der Tote zeigte sich widerspenstig, ließ sich kaum packen. Vielleicht war es weniger schwierig, wenn er ihn hinüber zu schieben versuchte. Er ging um den Wagen herum, rutschte dabei selbst an der Böschung ab, die deutlich steiler war, als er vermutet hatte, und stemmte sich dann mit der Schulter gegen den wankenden Wagen, während der die Beifahrertür vorsichtig zu öffnen begann. Doch sofort rutschte von innen der Leichnam dagegen, und er versuchte, sie wieder zu schließen. Er musste dazu einige Kraft aufwenden, und seine Muskeln, ohnehin ausgelaugt nach all dem, was er in letzter Zeit nicht nur seiner Psyche, sondern auch seinem Körper angetan hatte, begannen zu schmerzen.
Als es endlich vollbracht war, stieg er zurück auf die Straße, schwer atmend. Nur zu gern hätte er sich eine Pause gegönnt oder, besser noch, sich einfach hingelegt, auf den Boden, in das dürre Gras. Aber das war natürlich keine gute Idee. In ungefähr zweihundert Metern Entfernung sah er die lScheinwerfer von Julias Wagen aufleuchten, wegen der leichten Kurve halb verdeckt von einem Baum. Er fragte sich, ob sie es aus dieser Position überhaupt mitbekommen würde, wenn er ihr ein Zeichen gab, und ging ihr ein Stück entgegen, seine Arme über dem Kopf schwenkend. Plötzlich spürte er, wie seine Knie nachgaben und ihm schwarz vor Augen wurde. Er taumelte und versuchte sich an etwas festzuhalten, aber seine Hände griffen ins Leere. Wie aus dem Nichts tauchte auf einmal ein Straßenbaum vor ihm auf und er stützte sich dagegen, drehte sich dann um und lehnte sich mit dem Rücken daran, um sich anschließend langsam in die Knie sinken zu lassen. Die schartigen Kanten der Rinde schabten durch das verschwitzte Gewebe des Jacketts über seine Haut. Vermutlich ruinierte er sich gerade ein teures Kleidungsstück, aber das war nichts, was ihn auch nur andeutungsweise interessiert hätte.
Er blieb so lange kauern, bis der Schwindel und die Schwäche allmählich nachließen. Nachdem er sich mühsam wieder aufgerichtet hatte, stellte er fest, dass die Scheinwerfer von Julias Wagen verschwunden waren. Eigentlich müsste ich jetzt wütend sein, dachte er, und nicht nur wütend, sondern auch verzweifelt, niedergeschlagen und ratlos angesichts dieser misslichen Lage, sich allein irgendwo in einer Einöde am Rande der Stadt wiederzufinden.
Doch merkwürdigerweise verspürte er
Weitere Kostenlose Bücher