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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Boden stürzte, wobei er wild fluchte — auf Englisch.
    Pitt kam auf die Füße und lief auf den Mann zu, der allem Anschein nach benommen am Boden lag. Als er ihm die Arme entgegenstreckte,
um ihm aufzuhelfen, bekam er von hinten einen kräftigen Schlag auf den Kopf. Er versank in tiefe Bewusstlosigkeit.
    Er erwachte, auf dem Rücken liegend, mit pochenden Kopfschmerzen. Er nahm an, es seien nur wenige Augenblicke vergangen und er befinde sich nach wie vor auf dem Teppichbasar. Als er aber die Augen öffnete, sah er über sich eine schmutzig weiße Zimmerdecke und erkannte bei einer leichten Kopfdrehung Wände. Statt der vielen kräftigen Rottöne der Teppiche sah er einen Haufen aus gestreiftem Ocker, Schwarz und ungebleichtem Leinen.
    Vorsichtig setzte er sich auf. In seinem Kopf verschwamm alles. Reglos und erstickend stand die Hitze im Raum. Überall waren Fliegen, so viele, dass jeder Versuch, nach ihnen zu schlagen, sinnlos war. Nach einer Weile merkte er, dass in dem Kleiderhaufen ein bärtiger Mann steckte. Ein weiterer Mann saß an die gegenüberliegende Wand gelehnt und noch einer unter dem hohen vergitterten Fenster, hinter dem ein leuchtend blauer quadratischer Ausschnitt des Himmels zu sehen war.
    Er musterte die Männer genauer. Der Bärtige trug einen Turban und hatte eine blutunterlaufene Schwellung um das linke Auge, die wahrscheinlich sehr schmerzhaft war. Der zweite war bis auf einen breiten schwarzen Schnurrbart glatt rasiert — vermutlich Grieche oder Armenier. Der dritte lächelte Pitt kopfschüttelnd zu und schürzte die Lippen. Dabei hielt er ihm einladend eine lederne Wasserflasche hin.
    »Lachejm«, sagte er dazu. »Schön, dass Sie wieder da sind.«
    »Danke.« Pitts Mund war ausgedörrt, und seine Kehle brannte. Ein Araber oder Türke, ein Grieche oder Armenier, ein Jude und er, ein Engländer. Wie war er in diesen Raum gekommen, allem Anschein nach eine Arrestzelle? Er wandte sich langsam um und suchte mit den Augen nach der Tür. Sie hatte keine Klinke.
    »Wo sind wir?«, fragte er und nahm noch einen Schluck Wasser. Er sollte nicht so viel trinken — möglicherweise war das alles, was die Männer hatten. Er gab die Flasche zurück.
    »Engländer«, sagte der Jude mit einer Belustigung, in die sich Staunen mischte. »Wieso helfen Sie den Ägyptern gegen die englische Polizei? Sie sind doch keiner von uns!«
    Alle sahen ihn neugierig an.
    Langsam ging ihm auf, dass man ihm seinen ungeschickten Sturz, mit dem er den anderen zu Fall gebracht hatte, als absichtlichen Angriff ausgelegt hatte, und so war er wohl als Beteiligter bei einer gewalttätigen Demonstration gegen die britische Herrschaft in Ägypten festgenommen worden. Schon in den allerersten Tagen seines Aufenthalts hatte er gespürt, dass Aufbegehren in der Luft lag, Wut ständig unter der Oberfläche glomm. Jetzt begriff er, wie weit verbreitet der gegen die Eindringlinge gerichtete Widerstand war und wie dünn der Firnis, der ihn im Alltagsleben vor den Blicken von Menschen verbarg, die nicht hinzuschauen verstanden. Wer weiß, vielleicht war es ein Glücksumstand, der ihn hierher gebracht hatte. Er musste ihn nur richtig nutzen und sich die richtige Antwort einfallen lassen.
    »Ich bin mit der anderen Seite der Geschichte in Berührung gekommen«, gab er zur Antwort. »Ich kenne eine Ägypterin in London.« Er musste sorgfältig darauf achten, keinen Fehler zu machen. Falls man ihn bei einer Unwahrheit ertappte, konnte ihn das sehr teuer zu stehen kommen. »Von ihr habe ich gehört, wie es hier im Lande um die Baumwollindustrie steht ...« Er sah, wie sich das Gesicht des Arabers verdüsterte. »Sie hat mit guten Gründen die Forderung vertreten, die Fabriken in Ägypten zu errichten statt in England«, fuhr er fort. Dabei überlief ihn eine Gänsehaut. Er spürte den Geruch von Schweiß und Angst in der Luft. Seine Hände waren feucht.
    »Wie heißt Ihr?«, fragte ihn der Araber unvermittelt.
    »Thomas Pitt. Und Ihr?«
    »Musa, das genügt für Euch«, bekam er zur Antwort.
    Pitt wandte sich dem Juden zu. »Avram«, sagte dieser mit einem Lächeln.
    »Kyril.« Auch der Grieche nannte nur seinen Vornamen.
    »Was wird man mit uns tun?«, fragte Pitt. Würde er die Möglichkeit haben, Trenchard eine Mitteilung zukommen zu lassen? Und wäre dieser, falls das möglich war, bereit, ihm zu helfen?
    Avram schüttelte den Kopf. »Entweder lässt man Euch laufen, weil Ihr Engländer seid«, sagte er, »oder man macht Euch den

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