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Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers

Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers

Titel: Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Sandmann
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über mich erzählt? Ist meine Gebärmutter in Ordnung?«
    »Frau Paquin!« Als sie zu weinen anfing, versuchte er ihreHand zu ergreifen, wurde aber rüde abgewiesen. »Ich wollte Sie nicht kränken.«
    »Lassen Sie mich jetzt bitte allein, Doktor? Ich muss allein sein. Ich kann einfach nicht mehr.«

4
    Als er gegangen war, schritt Louise hinüber zur Tür am Ende der Halle, durch die man in die Apotheke gelangte.
    Die Apotheke war für das Publikum geschlossen, die Eingangstür mit schwarzgoldenen Bändern drapiert. Die Angestellten waren
     jedoch anwesend, denn der Provisor hatte unmittelbar nach dem Tod des Besitzers angeordnet, Inventur zu machen. Sie alle liefen
     geschäftig herum, selbst die Lehrlinge und die Stößer, deren Aufgabe das Kräfte raubende Zerstoßen der Zutaten war und die
     Herstellung des Selterswassers, das man im »Markus-Löwen« wie in den meisten anderen Apotheken selbst erzeugte. Jeder fertigte
     von seinem Arbeitsbereich lange Listen an. Wenn der Betrieb in andere Hände übergeben wurde, musste der aktuelle Besitzstand
     bis auf den letzten Hornlöffel in den Büchern vermerkt sein.
    Eine der angesehensten Apotheken der Hansestadt war Raoul Paquins Apotheke »Zum St. Markus mit dem Löwen« am Hamburger Jungfernstieg
     ebenso geschmackvoll wie kostbar eingerichtet. Die Offizin als zentraler Raum der Arzneibereitung war bis in die letzte Einzelheit
     kunstvoll ausgestaltet. Vergoldetes Schnitzwerk aus Akanthusblättern und Lilien bekrönte die bis zum Rand der Kuppel reichenden
     Regale austabakfarbenem Walnussholz. Wie im unteren Teil der Regale waren auch in den Rezepturtisch Schubladen eingebaut, die eine luftige
     und trockene Aufbewahrung des Handvorrates ermöglichten. Zwei Glasvitrinen an der dem Publikum zugewandten Seite enthielten
     das Randsortiment wie Verbandstoffe, Reispuder, Glyzerincreme, Chininwasser und Spiritus. Eine Tür führte ins Kontor und ein
     fensterloses Gelass, dessen Tür Louise noch nie offen gesehen hatte. Sie verbarg sich hinter einem schweren grünen Samtvorhang.
     Niemand als ihr Mann und der Magister hatten einen Schlüssel zu diesem Raum, den Sigmund Schlesinger »Thesaurus« nannte und
     den Raoul Paquin seiner Frau gegenüber halb – aber nur halb – im Scherz »Blaubarts Kammer« genannt hatte.
    Die barocke Kuppel war mit Fresken bemalt: Genien trugen Amphoren in Händen, die Salben und Spezereien enthielten. Ein Dutzend
     feister, blassrosa Jungfrauen mit den Zweigen von Myrrhe, Salbei und Hibiskus in Händen neigten sich liebreich über Kranke
     und Krüppel. Im Zentrum schwebte ein Spruchband mit der für die meisten Kunden glücklicherweise unverständlichen Losung:
Contra vim mortis non est medicamen in hortis – gegen den Tod ist kein Kräutlein gewachsen.
    Louise blickte sich um. Ein Seufzer entrang sich ihr bei dem Gedanken, dass dies alles bald in fremde Hände übergehen würde.
     Zwar konnte Raoul das Gebäude und die Einrichtung nach seinem Willen vererben, nicht aber die Konzession, die den Betrieb
     erst ermöglichte. Wenn man ihr die Apotheke wegnahm, wohin konnte sie sich dann noch zurückziehen? Sie hatte sich dort immer
     um vieles wohler gefühlt als in dem Haus mit seiner kalten Pracht.
    Eine Welle der Verzweiflung überschwemmte die junge Frau. Mit plötzlicher Bitterkeit dachte sie daran, dass Raoulbei allem, was er ihr gegeben hatte, eines versäumt hatte: ihr ein selbstständiges Leben zu ermöglichen. Und ihre Eltern,
     überzeugt, dass die niedliche Tochter mühelos einen Mann finden würde, hatten ihr in dieser Hinsicht auch nichts mitgegeben.
     Sie war ein Waisenkind, hilflos und weltfremd, im Körper einer erwachsenen Frau. Es war, als starrte sie in einen Tunnel,
     aus dessen Tiefen ihr ein eisiger Wind ins Gesicht pfiff.
    Mit einem Seufzer machte sie sich auf die Suche nach dem Provisor, dem Geschäftsführer der Apotheke. Magister Sigmund Schlesinger
     war ein schmächtiger, blasser Mann Anfang dreißig, der vom penibel glatt gekämmten Haar bis zu den auf Hochglanz geputzten
     Schuhen wie aus dem Ei gepellt wirkte. Seine dunklen Augen blickten durch eine dicke goldgerahmte Brille.
    Als er Louise erblickte, trat er mit kleinen steifen Schritten aus dem Halbrund der geschwungenen Mauern, die jenseits des
     Rezepturtisches eine Nische bildeten. Dort thronte der Magister, von der Nische umrahmt wie von einem Baldachin, an einem
     kunstvoll gestalteten, goldbeschlagenen Empire-Schreibtisch mit Löwenfüßen, der auf

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