Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers
Orangenblüten. Amy erklärte: »Viele Leute, die die Blumensprache kennen, wissen, was damit gemeint ist.
Orangenblüten stehen für Unschuld und ewige Liebe, weiße Rosen für Unschuld und Reinheit, Schweigen und Stille.«
Louise, die noch ganz aus dem Gleichgewicht war angesichts dieses plötzlichen Schwarms unbekannter Helferinnen, drückte das
vielsagende Bukett an sich und ging eilig wieder in die Halle. Der dumpfe, dem Röhren eines Elefanten ähnliche Ton eines Bombardons
erschreckte sie, dann begann die zu beiden Seiten des schwarz verhängten Haustors positionierte Kapelle zu spielen. Raoul
hatte Verfügungen hinterlassen, welche Lieder er auf seinem letzten Weg hören wollte. Die Marseillaise hatte er ausgelassen,
um die Gefühle der Hamburger nicht zu verletzen, die die französische Besatzung am Anfang des Jahrhunderts noch immer in hasserfüllter
Erinnerung hatten. Stattdessen spielte die Kapelle geistliche Lieder. Allesamt waren recht flott im Takt und klangen insgesamt
fröhlich. Mit der Musik fing der offizielle Teil des Begräbnisses von Raoul Paquin an.
Sechs in schwarze Livreen gekleidete Träger mit Dreispitzen auf dem Kopf hoben den Sarg von seinem Sockel und nahmen ihn auf
die Schultern. Gemessen schritten sie durch die Halle und unter der im Nieselregen schlaff herabhängenden Trauerdekoration
des Tores auf die Straße hinaus. Dort wartete bereits in Formation der für große Leichenbegängnisse vorgesehene Trauerzug.
Louise fühlte sich bedrückt angesichts dieses makabren Prunks, ihr schien, als wäre der gesamte Zug feierlich aus dem Hades
heraufgestiegen und würde ebenso feierlich in die ewige Tiefe hinabsinken. In dem bleichen Nebel, der die Umrisse der Häuser,
Kandelaber und Fahrzeuge am Alsterufer ins Unbestimmte verzerrte, machte sich eine Prozession von Gespenstern auf die Reise
ins ewige Leben.
Voran ritt ein Herold, hinter ihm zwei Reiter mit Laternen auf hohen Stangen, deren Licht den Nebel gelblich färbte. Alssie sich in Bewegung setzten, löste sich die Musikkapelle vom Hauseingang und folgte gemessenen Schrittes. Nun führten Stallmeister
drei Paar in bodenlange Trauerschabracken gehüllte und mit schwarzen Federstößen geschmückte Pferde herbei. Louise, die immer
nervöser wurde, richtete den Blick auf den Leichenwagen, den die aufgeputzten Gäule zogen. Raoul war großzügig zu anderen
gewesen, aber auch zu sich selbst. Er hatte eine geschlossene, mit vier Laternen und einer Urne auf dem Dach geschmückte Kutsche
aus schwarz lackiertem Holz und Leder vorgesehen, verziert mit Metallbändern, die mit Gold und Perlmutter aufgeputzt waren.
Stumm und hoch aufgerichtet sah die Witwe zu, wie die Tür des Leichenwagens geöffnet, der Sarg mit feierlicher Sorgfalt hineingeschoben
und die Tür wieder verschlossen wurde. Ausgerechnet in diesem Augenblick fiel ihr auf, dass die Kutsche von der Seite betrachtet
wie eine bemalte Suppenterrine mit einem Knauf auf dem Deckel aussah. Die Umstehenden dachten zweifellos, dass sie der Schmerz
überwältigte, als sie sich zusammenkrümmte, und sie hatte Amy zu danken, die den hysterischen Lachkrampf als solchen erkannte
und Louise blitzschnell aus der ersten Reihe manövrierte. Kaum außerhalb der öffentlichen Sichtweite, versetzte sie ihr einen
energischen Tritt ans Schienbein, sodass sich Louises halb ersticktes Gewieher in einem heftigen Schmerzenslaut löste, um
sogleich zu verstummen.
In schweigender Ehrfurcht von den Umstehenden beobachtet, setzte der Zug sich in Bewegung. Langsam schritten die Pferde der
beiden Laternenträger voran, feierlich folgte ihnen die Geistlichkeit mit Kerzen tragenden Ministranten, dem Kreuzträger und
Weihrauchkessel schwingenden Sakristanen, dahinter eine im Wind heftig flatternde Schar von Klosterfrauendes Konvents »Mutter der Gnaden«, den Raoul stets besonders gefördert hatte. Dann kamen der Zeremonienleiter und seine Assistenten,
der Oberstallmeister, der die Aufsicht über das gesamte Sechsergespann hatte, und die vermummten Pferde mit ihren in spanische
Gala gekleideten Reitern. Mit geradezu unerträglicher Langsamkeit zogen sie den Leichenwagen, wobei die Federstöße auf ihrem
Kopfschmuck träge nickten. Weitere Laternenträger folgten und hinter ihnen in aufwendig gezierten Kutschen die Trauergäste.
Hermine war fassungslos, als sich entgegen jedem ehrwürdigen Brauch vier Kutschen mit vollkommen fremden Damen ganz vorne
in den Zug
Weitere Kostenlose Bücher