Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers
ursprüngliche Testament laut vor.
Louise saß da wie betäubt, unfähig zu begreifen, dass nun tatsächlich der Löwenanteil des Erbes ihr und Frederick gehörte.
Frederick war erstarrt, sein Mund stand halb offen, und er blinzelte ins Leere, ehe er schließlich sagte: »Das hat er mir
verheimlicht.«
In seiner Kanzlei auf dem Gänsemarkt angekommen, ließ Dr. Taffert Champagner bringen. Nach einem kurzen Toast wandte er sich an seine Klienten. »Ich schlage vor, dass wir alles abziehen,
was anderen Leuten vererbt wurde, und uns dann um den Rest kümmern. Abgezogen werden außerdem meine zwanzig Prozent.«
»Die Sie sich redlich verdient haben.« Louise kam allmählich zu Bewusstsein, dass der unscheinbare Rechtsanwalt sich tatsächlich
als Ritter in weißer Rüstung erwies, der eine Jungfrau in Nöten gerettet hatte.
Er dankte mit einem Lächeln und einer knappen Verbeugung und fuhr fort: »Selbst nach Abzug all dieser Ausgaben bleibt ein
dicker Batzen Geld übrig. Ich muss Sie beide daher gleich von Anfang an zur Vorsicht mahnen. Sie sind jetzt reiche Erben,
das ist einerseits angenehm, andererseits belastet es Sie mit einer großen Verantwortung, denn ein Erbe wie das des Verstorbenen
zu verwalten ist eine anspruchsvolle Aufgabe.«
In ihrer geschäftlichen Einfalt hatte Louise gedacht, ihr Erbewürde jetzt einfach in einem gut gefüllten Konto bestehen, von dem sie nur abzuheben brauchte, aber es war weitaus komplizierter.
Sie sah bald, dass sie mit der Verwaltung der Güter überfordert sein würde. Und was sollte sie überhaupt mit einem Landhaus,
Grundstücken und Antiquitäten?
Dr. Taffert lehnte sich zurück und verschränkte die Finger über der Brust. »Da wäre noch etwas zu klären. Man spricht zu Zeiten
des Glücks nicht gerne darüber, aber Sie wissen, wir Rechtsanwälte müssen auch das Unangenehme ansprechen. Haben Sie beide
bereits ein Testament gemacht?« Als die jungen Leute nur stumm den Kopf schüttelten, fuhr er fort: »Wohlhabende Leute sind
immer gut beraten, ein Testament zu machen. Es geht dabei weniger darum, wer von Ihrem Ableben profitieren soll, als darum,
wer ganz sicher nicht davon profitieren soll.« Er nahm den Kneifer ab und blickte sie abwechselnd an. »Verstehen Sie, man
soll niemanden in Versuchung führen. Ein schwacher Charakter könnte darüber nachdenken, was er durch Ihren Tod zu gewinnen
hätte. Ich würde Ihnen empfehlen, auf der Stelle ein Testament zu machen und als Erben eine kirchliche oder städtische Wohlfahrtsorganisation
einzusetzen. Da Sie hoffentlich noch lange leben werden, können Sie diesen letzten Willen jederzeit ändern, wenn Sie heiraten
oder Kinder haben.«
Frederick stimmte ihm zu. »Gut, dann vermache ich mein Geld karitativen Organisationen, die sich um Matrosen kümmern – ist
das nicht passend für den Sohn eines Kapitäns? Und du, Louise?«
»Ich vermache alles Amy Harrington und ihrem Frauenverein.«
Der junge Mann sprang mit einem Schrei auf. »Das tust du nicht!«
»Aber warum denn nicht?«, fragte sie. »Ich finde es wunderbar, was sie für die Gesellschaft leisten. Außerdem: Was wären wir
ohne den Rechtsschutzverein für Frauen? Wir stünden heute ohne irgendwas in der Hand da und könnten zusehen, wie Hermine und
ihre Kinder Raouls Erbe verprassen.«
Frederick schlug die Faust in die offene Hand. »Nein! Diese Meuchelmörderinnen an uns Männern darfst du auf keinen Fall mit
Geld füttern. Weiß der Teufel, was sie damit anfangen.«
»Vielleicht mieten sie Schiffe, um euch alle nach Australien zu deportieren«, sagte Louise, und als sie sein Gesicht sah,
platzte sie lachend heraus. »Verzeih mir! Ich glaube, ich habe zu viel von dem Champagner getrunken. Nein«, wandte sie sich
ernsthaft an Dr. Taffert, »ich bitte Sie, ein Testament aufzusetzen, in dem mein Vermögen zu gleichen Teilen all jenen Stiftungen zugute kommt,
die mein Gatte zum Wohl der Stadt Hamburg gegründet hat.«
Frederick kam nur mühsam wieder zu Atem. »Und Lady Harrington – das war nur ein Scherz? Beinahe hätte mich der Schlag getroffen.«
Louise wurde ernst. »Ich werde ihre Arbeit sicherlich unterstützen. Aber lass uns jetzt nicht darüber streiten. Das ist ein
Tag, an dem wir glücklich sein sollten.«
Dr. Taffert versprach, so rasch wie möglich zwei Testamente aufzusetzen.
Als die jungen Leute die Promenade entlang zum Löwenhaus gingen, schwieg Frederick erst eine ganze Weile, dann
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