Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers
Verehrer.«
Sie suchte ratlos nach einem Hinweis, um wen es sich bei dem namenlosen Rächer handeln mochte, aber das Kuvert enthielt nichts
weiter. Erst als sie es dicht ans Gesicht hob, fiel ihr der Geruch auf, der daran haftete: der beißende Geruch starker ägyptischer
Zigaretten.
Ein Lächeln flog über ihr Gesicht, als sie die Fotos samt dem Umschlag ins Feuer warf. »Danke, lieber Herr Gützlow«, flüsterte
sie.
D ie E rbschaft
1
Den März über blieb die Frage um die Erbschaft in der Schwebe. Hermine bewies eine gefährliche geschäftliche Naivität, indem
sie den Mietvertrag für ihre Villa in Altona aufkündigte und damit alle Brücken hinter sich abbrach. Überzeugt, dass es nur
noch einiger Formalitäten bedurfte, bis sie Herrin in dem prächtigen Bürgerhaus am Jungfernstieg war und auf ein Millionenvermögen
zugreifen konnte, gestattete sie sich den Luxus, den sie so lange entbehrt hatte, warf das Geld nach allen Seiten zum Fenster
hinaus und machte bei allen möglichen Wucherern Schulden. Sie wiegte sich in der Sicherheit, dass sie die rechtmäßige Erbin
der gesamten Hinterlassenschaft ihres Bruders war und eine Gerichtsverhandlung nur dazu diente, Louise mitsamt ihrem ärmlichen
Anhang davonzujagen. Emil riet zur Vorsicht, aber gegen seine Mutter und seine Schwester kam er nicht an, und um die Meinung
des Barons kümmerte sich sowieso niemand.
Das Löwenhaus, über das sich seit einem halben Jahr ein Schleier des Trübsinns gebreitet hatte, wie sich das Netz einer bösartigen
Spinne über sein Opfer stülpt, lebte auf. Jeden Tag fand irgendeine gesellige Zusammenkunft statt, bei der das Haus hell erleuchtet
war, die Halle war jeden Tag mitfrischen Treibhausblumen geschmückt und im Theatersaal war stets ein luxuriöses Buffet aufgebaut. Viele Leute gingen in dem
Haus ein und aus – beinahe so wie früher. Aber eben nur beinahe; die meisten Leute kamen nämlich nur, um auf Kosten der Pritz-Toggenaus
zu essen, zu trinken und sich zu amüsieren, wobei sich Emils Kameraden besonders hervortaten. Viele wollten auch ganz einfach
die schöne Eugenie sehen, und jetzt, da sie eine vermeintlich reiche Erbin war, ihre Gunst gewinnen.
Das war nicht leicht, denn Eugenie war bei aller Albernheit ein gewitztes Mädchen und wusste, dass Liebschaften nur ihren
Ruf schädigen würden. Die Männer, auf die es wirklich ankam, kauften keine Ware aus zweiter Hand. Sie amüsierte sich, ohne
jemanden an sich heranzulassen, und lauerte auf den großen Wurf.
Zwischen dem Haus und der Apotheke entstand bald eine tiefe Kluft; wie feindliche Heere standen sie einander gegenüber. Hermine
und Eugenie ließen keine Gelegenheit aus, zu lästern, und auch Louise war nicht darüber erhaben, ihrem Groll freien Lauf zu
lassen. Sie wurde dabei energisch unterstützt von Amy, die gelegentlich im Löwenhaus spionierte und Berichte ablieferte.
»Wenn sie so weitermachen, werden ihnen die Schulden bald über den Kopf wachsen«, berichtete sie. »Emils Kameraden fressen
ein Buffet schneller leer, als es ein Heuschreckenschwarm könnte, Hermine kauft sich eine Pelzstola nach der anderen und Eugenie
prunkt wie eine Kronprinzessin.«
»Und Paula?«
»Ach, Fräulein Hahne. Sie ist vom Regen in die Traufe geraten. Natürlich will sie von den Pritz-Toggenaus für voll genommen
werden, schließlich gehört sie zur Familie, abersie hat kein eigenes Geld, und so ist sie auf ein Gnadenbrot angewiesen, das ihr nur widerwillig gereicht wird. Sie tut mir
aufrichtig leid. Sie ist nicht mehr ganz jung, um ehrlich zu sein, wohl schon zu alt, um zu heiraten. Und eigenes Vermögen
hat sie keines geschaffen. Ich habe ihr vor wenigen Tagen meine Hilfe angeboten. Ich dachte, vielleicht wäre sie an einem
Eintritt in den Rechtsschutzverein für Frauen interessiert … Aber nichts. Sie hat nur abfällig gelacht und mir den Rücken gekehrt. Ein trauriger Anblick …«
Da Louise nur ratlos die Mundwinkel nach unten zog, nutzte Amy die Gelegenheit, um einen langen Vortrag darüber zu halten,
wie notwendig es sei, dass unverheiratete Frauen sich selbst erhalten könnten und nicht bei reichen Verwandten betteln müssten,
und dass Dr. Taffert für einige von ihnen schon eine verbriefte Leibrente herausgeschlagen habe. »Weißt du, wie viele solch unglückliche
Frauen es gibt? Sie bekommen keinen Mann mehr, sie haben nichts gelernt, womit sie sich selbst erhalten können, und selbst
wenn sie
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