Die Frau des Germanen
Segestes die Hochzeitsvorbereitungen vorantrieb.
Wenn ihre Herrin erst die Gemahlin Fürst Aristans war, würde der Traum von einem Leben auf der Teutoburg ausgeträumt sein.
Thusnelda war die Erste, die von Inajas Schwangerschaft erfahren hatte. Und sie hatte im Gegensatz zu Hermut die Tage gezählt,
die vorangegangen waren. Aber auch Inaja hatte sie gezählt, und sie wusste, dass alles seine Richtigkeit hatte. Und dass Thusnelda
ihr keine Vorwürfe machen würde, sondern hinter ihr stand, hatte sie auch richtig eingeschätzt.
|156| »Ich werde Euch niemals verlassen, Herrin!« Diese Worte waren ihr leicht über die Lippen gekommen, weil sie absolut der Wahrheit
entsprachen. »Der Vater wird auf sein Kind verzichten müssen, wenn Ihr auf Fürst Aristans Burg zieht. Ich werde auf jeden
Fall mit Euch kommen.« Auch das entsprach voll und ganz der Wahrheit. Und dieser Teil der Wahrheit war auch Hermut bekannt.
Er wusste, dass sein Glück von der Entscheidung Thusneldas und dem Mut seines besten Freundes abhing. So weitsichtig wie Inaja
war er vermutlich nicht, aber darauf kam es ihr nicht an. Hauptsache, sie sah voraus, was geschehen würde: Den beiden Fürstenkindern
fiel es leichter, nicht nur für ihr eigenes Glück zu sorgen, sondern auch für das Glück derer, die von ihnen abhängig waren.
Egoismus passte nicht zu einem germanischen Helden, wohl aber, dass er sich für seinen besten Freund einsetzte. Und Egoismus
passte ebenso wenig zu einer germanischen Fürstentochter, aber dass sie sich um die Zukunft ihrer Dienstmagd sorgte, das passte
durchaus. So war ein wundersames Karree entstanden, von dessen vier Ecken eigentlich nur die Dienstmagd etwas wusste. Hermut
und Inaja kümmerten sich um das Glück zweier Liebender, und wenn Arminius und Thusnelda sich ein ums andere Mal fragten, ob
sie ihr Glück wirklich erzwingen durften, dann konnten sie sich gegenseitig versichern, dass es nicht nur um sie, sondern
auch um ein weiteres Liebespaar ging. Inaja hatte, bevor die Entscheidung gefällt wurde, den Konflikt am Gesicht ihrer Herrin
ablesen können. Sie wusste, was in Thusnelda vorging, und schaffte es durch gelegentliches Seufzen, wenn sie über ihren Bauch
tastete, die Entscheidung zu beschleunigen.
Guda, die Küchenmagd, betrat das Haus und nahm Thusnelda wortlos den Schürhaken aus der Hand. Auch Thordis erschien nun und
kurz darauf Arminius, der in der Tür stehen blieb, als müsste er das Bild Thusneldas an seinem Herd erst eine Weile betrachten,
ehe er es für Wirklichkeit halten konnte. Dann ging er auf sie zu und zog sie in seine Arme.
Inaja sah, dass Thusnelda mit den Tränen kämpfte, und hörte |157| Arminius’ leise Stimme: »Sei zuversichtlich. Lebenslange Feindschaft wird dein Vater nicht ertragen.«
Inaja wich Schritt für Schritt zurück. Niemand achtete auf sie, als sie das Haus verließ. Vor dem Eingang blieb sie stehen
und sah sich um. Ihr neues Zuhause! Hier würde sie mit den Menschen leben, die sie liebte. Mit Thusnelda, mit ihrem Kind …
»Wo ist Inaja?«, hörte sie da Hermut fragen. Seine Stimme kam vom Küchenfeuer. Anscheinend hatte er das Haus an der anderen
Seite, vom Stall aus, betreten.
Mit großen Schritten ging Inaja davon und machte erst halt, als sie einen Punkt der Teutoburg erreicht hatte, an dem sie bis
zur Eresburg blicken konnte. Auch dort hatte sie sich gern an der höchsten Stelle der Burgmauer aufgehalten, um zur Teutoburg
sehen zu können. Wie nah doch das eine Leben dem anderen war! Und wie weit sich andererseits die Zukunft von der Vergangenheit
entfernt hatte!
Sie sah sich um und betrachtete das Haus, in dem sie zukünftig wohnen würde. Es war größer als das Haus von Fürst Segestes,
mindestens vier bis fünf Schritte länger und auch um einiges breiter. Aus einem dreischiffigen Holzgerüst bestand es, die
Dachbalken wurden von zwei Säulenreihen im Hausinneren getragen. Die Längswände waren über die vordere Querwand vorgezogen
worden und bildeten so zum Schutz des Eingangs einen Vorraum.
Aus lehmbeworfenem Flechtwerk bestanden die Wände, das Dach war aus dichtem Stroh und Schilf gefertigt worden. Auch an den
beiden Längsseiten des Hauses gab es je eine Tür. Die eine führte an die Feuerstelle, die andere in den Stall, der etwas tiefer
lag, damit die Jauche nicht in den Wohnbereich sickern konnte. Er war nur durch einen hüfthohen Zaun vom Wohnbereich getrennt.
Ein Dutzend Rinder standen
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