Die Frau des Polizisten
meine werte Fliege, gibt’s hier keine Leichen, kein verwestes Fleisch, in das du deine wimmelnden Larven ablegen könntest. Noch nicht jedenfalls, dachte sie grimmig.
Sie ging wieder dazu über, die Unterlagen zu sortieren, um etwas Struktur hineinzubringen. Die normale Routine zu Beginn einer Ermittlung, wo alles noch unzusammenhängend und ein wildes Durcheinander war und eine ungefilterte Menge an Informationen über sie hereinbrach. Diese wurden dann im Laufe der Ermittlungen gesichtet und aussortiert, manchmal so weit, bis gar nichts mehr davon übrig war. Ihr flatterten vor Müdigkeit die Lider, sie schob die Maus hin und her, der Bildschirm knisterte und leuchtete wieder auf.
Der erste Schritt war getan. Sie war Göran entkommen, war einfach aus der Tür gegangen. Wovon sie so viele Nächte geträumt hatte, als sie neben ihrem schnarchenden Mann gelegen hatte, an die Decke gestarrt und kaum zu atmen, geschweige denn sich zu rühren gewagt hatte. Es hatte sie alle Kraft gekostet, sich auf die Vertretungsstelle in Göteborg zu bewerben. Ihre Gruppenleiterin in Stockholm hatte sie unterstützt und ihr Vorhaben so gut wie möglich verschleiert. In der Tat hatte sie selbst den Vorschlag gemacht, und Erika war ihr dankbar dafür gewesen. Obwohl Pernilla sie durchdas, was sie getan hatte, im Grunde im Stich gelassen und sich auf eine einfache Art eines Problems entledigt hatte.
Als Polizistin begegnete Erika fast tagtäglich Frauen, die in derselben Lage waren wie sie – die bis zum Hals im Dreck steckten, und von den Kollegen mit einer müden und fast mitleidsvollen Resignation bedacht wurden. Ständige Auseinandersetzungen, ein Zuhause, das in Auflösung begriffen war, Missbrauch und Arbeitslosigkeit, Ohnmacht, gesellschaftliche Isolation, weinende Kinder, windelweich geprügelte Frauen, die unter Tränen versuchten, Abläufe zu schildern, die zumeist chaotisch, brutal und so unlogisch waren, dass sie sich kaum noch daran erinnern konnten.
Frauen, die dennoch blieben, sich in sich zurückzogen, buckelten und in der Gruppe Anlass zu kollektivem Aufstöhnen gaben. Frauen, die in einen üblen Kreislauf geraten waren, die Anzeige erstatteten, wenn sie akut Gewalt ausgesetzt waren, nur um sie dann zurückzuziehen, weil ihre Furcht zu groß war, weil sie nicht wussten wohin, kein Einkommen hatten, mit dem sie nach einer Trennung zurechtkämen, weil ihnen mit dem Tode gedroht wurde und sie darüber hinaus um das Leben ihrer Kinder fürchteten. Aber keine der Frauen, denen Erika jemals begegnet war, war Polizistin gewesen.
Die Wochen vor dem Jahreswechsel, als sie darauf gelauert hatte, dass sich in dem goldenen Käfig, den Göran um sie errichtet hatte, ein Schlupfloch bieten würde, hatte sie sich wie auf dünnem Eis bewegt. Sie war freundlich, nachgiebig und liebreizend zu ihm gewesen, wenngleich nicht zu sehr. Er durfte nicht misstrauisch werden. Die kleinste Veränderung in ihrem Verhalten hätte ihn gewarnt.
Göran hatte vor der Silvesterfeier neue Unterwäsche für sie gekauft. Eine glänzende Korsage aus schwarzer Seide, die sie gleich, nachdem er damit nach Hause gekommen war,hatte anprobieren müssen. Er hatte die Schnürung so festgezogen, dass sie kaum atmen konnte, und sie dann brutal auf dem Küchentisch genommen, sie schmerzhaft an den Haaren gepackt, während er in sie eindrang.
»Das musst du auf der Party tragen, Darling, und die Strümpfe«, hatte er anschließend gesagt, »aber kein Höschen.«
Er hatte gelächelt, dieses schiefe, in sich gekehrte Lächeln, bis die Schärfe wieder in seine Augen getreten war. Er hatte sie grob an den Schultern gepackt, sein Gesicht hatte sich vor Verachtung verzerrt.
»Und geh, verflucht noch mal, endlich zum Friseur, Erika. Du siehst ja abscheulich aus! Das hab ich dir doch schon mal gesagt. Du musst mir endlich mal zuhören, verdammt!«
Als sie bei ihrer Friseurin gesessen und diese begleitet vom üblichen Klatsch und Tratsch zum Schneiden angesetzt hatte, hatte plötzlich Göran die Tür aufgerissen und den ganzen Türrahmen ausgefüllt. Er war wie ein Betrunkener näher gekommen, hatte Erikas Nackenhaar gepackt, es zusammengefasst und ihr im Spiegel in die Augen gestarrt.
»Dass du nie auf das hörst, was ich dir sage! Warum behandelst du mich immer wie ein Stück Dreck, Erika? Ist es denn zu viel verlangt, dass du mir wenigstens einmal zuhörst? Habe ich dir nicht gesagt, dass du die Haare aus dem Gesicht tragen sollst, he?«
Brutal hatte er ihre
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