Die Frau des Praesidenten - Roman
gefragt wurde, diese Sätze wiederholt, ohne sie weiter auszuführen. Also müssen Autoren, die für ihre Bücher oder Artikel mehr Material brauchen, etwas redseligere Zeitzeugen finden und kontaktieren auf ihrer Suche jeden, der uns auch nur einmal aus der Ferne gesehen hat. Es gibt mindestens eine Biographie über mich, in der Dena als meine ehemalige beste Freundin genannt wird, und das ist vermutlich der Grund dafür, dass auch andere Journalisten sie aufsuchen. Die Biographin hatte diese Information von unserer damaligen Mitschülerin Mary Petschel, geborene Hafliger – die mit den haarigen Unterarmen, die mir nach Andrews Tod die Mitgliedschaft im Spirit Club aufgekündigt hat und der Ella und ich einmal über den Weg liefen, als ich 1988 nach Riley geflohen war. Seitdem habe ich Mary nicht wiedergesehen.
Und in diesem Augenblick wird mir bewusst, dass weder Dena noch Pete sich je öffentlich über mich geäußert haben. Die ganze Zeit über war ich so sicher, dass Dena es irgendwann tun würde, dass es fast so war, als hätte sie es schon getan. Selbst heute Morgen war sie die Erste, die mir in den Sinn kam,als Hank mir erzählte, jemand wolle meine Abtreibung öffentlich machen, aber sie hatte nicht das Geringste damit zu tun. Dass Dena und Pete all die Jahre über geschwiegen haben, obwohl sie ein Paar waren, obwohl sie beide ihre Gründe gehabt hätten, mich zu verurteilen, und obwohl sie einander in ihrer Abneigung hätten bestärken können – in diesem Augenblick wird mir klar, dass ich für das, was
nicht
geschehen ist, gar nicht dankbar genug sein kann und es nie angemessen gewürdigt habe. Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, dass sie Gelegenheiten gehabt hätten und darauf verzichtet haben, aber natürlich muss es so gewesen sein, und es waren sicher nicht wenige.
»Und wenn die Journalisten hier anrufen und mit euch reden wollen – warum lehnt ihr dann ab?«, frage ich.
»Machst du Witze? Glaubst du wirklich, wir würden mit einem dieser schmierigen Reporter über dich reden?« Dena lacht. »Wir sind schließlich wohlerzogene Leute, und außerdem haben wir deinen Mann nicht mal gewählt.« Sie beugt sich vor, um eine Zigarette aus der Schachtel auf dem Tisch zu holen, und nachdem sie sie angesteckt und einen Zug genommen hat, sagt sie: »Ich jedenfalls nicht. Pete geht gar nicht erst zur Wahl.«
Pete lächelt so, wie Charlie es tut, wenn er besonders laut gefurzt hat, halb verlegen und halb selbstzufrieden. Einen Moment lang frage ich mich – ich will so etwas gar nicht denken –, ob Pete einen Hirnschaden hat. Es müsste ja gar kein einzelnes schreckliches Ereignis gegeben haben, sondern der Alkohol und vielleicht auch Drogen könnten ihm im Laufe der Zeit geschadet haben.
»Hey, warum redet Charlie eigentlich nicht mit diesem Schwarzen da?«, fragt Dena. »Sag ihm, die gute alte Dena hätte gesagt, dass er das tun soll.« Ich bin ziemlich sicher, dass sie Edgar Franklin meint, aber ganz anders als Gladys Wycomb klingt sie nicht vorwurfsvoll, eher zurückhaltend, als ob sie nicht wirklich daran glaubt, dass ihre Meinung wichtig sei. Oder vielleicht weiß sie, weil sie selbst schon verheiratet war, wie schwer es ist, das Verhalten des eigenen Ehemanns zu beeinflussen,und macht mich für Charlies Entscheidungen nicht verantwortlich. Sie holt einen gläsernen Aschenbecher aus einem Fach unter dem Wohnzimmertisch und klopft darin ihre Zigarette ab. »Was meinst du, Alice, kann ich ein Foto von uns machen, oder hätten deine Gorillas was dagegen?«
»Na klar«, sage ich.
»Meine Schwestern werden mir sonst niemals glauben, dass du hier warst.« Sie steht auf.
»Wie geht es deinen Schwestern?«
»Sie schlagen sich so durch. Marjories Ältester ist mit der 158. Infanteriebrigade drüben, das ist natürlich hart für sie.« Wieder ist ihr anzuhören, dass sie mir keine Vorwürfe macht. Wie ist es denn möglich, dass sie mir verzeiht, nicht nur für die Vergangenheit, sondern auch für die Gegenwart? »Peggy lebt jetzt in Mom und Dads altem Haus, was ich für kein Geld der Welt tun würde. Der Schuppen fällt ja vom Hingucken auseinander, und außerdem wird sie demnächst an der Hüfte operiert, so dass ich nicht weiß, wie sie überhaupt in den ersten Stock kommen will.«
»Vielleicht könnte sie sich so einen Treppenlift einbauen lassen, wie meine Großmutter ihn hatte«, sage ich, und Dena lacht schnaubend, obwohl ich meine Bemerkung nicht als Witz gemeint habe.
Dena geht den Flur
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