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Die Frau des Praesidenten - Roman

Die Frau des Praesidenten - Roman

Titel: Die Frau des Praesidenten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Curtis Sittenfeld
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ihm gefalle, und ich dachte mir, vielleicht kann er Ihnen ein wenig Trost spenden.
Mit diesen Worten endete die Karte, und darin lag der Grund, weshalb ich sie selbst hier rausbrachte, statt sie mit der Post zu schicken; ich hatte das silberne Herz von der Kette abgemacht und in den Umschlag gelegt.
    Ich war fast zurück am Wagen, als mich das Geräusch einer sich öffnenden Tür ziemlich erschrocken, aber auch mit einem Funken Hoffnung herumwirbeln ließ. Ich war entsetzt, aufgeregt, und dazu durchfuhr mich tatsächlich der Gedanke, es könnte Andrew sein. Selbst als ich das Haus wieder im Blick hatte, dauerte es noch einen Moment, bis dieser völlig irrationale Hoffnungsschimmer verflogen war, da ich die Person hinter dem Fliegengitter zunächst nicht ausmachen konnte. Dann erkannte ich Pete Imhof. Natürlich war es nicht Andrew.
    Er öffnete das Fliegengitter nicht sofort, sondern blieb bewegungslos dahinter stehen, vermutlich beobachtete er mich. Ich war mir ziemlich sicher, dass er kein Hemd trug. Schließlich deutete ich in seine Richtung und rief: »Ich habe eine Nachricht hinterlassen.« Dann fügte ich, während ich mir die Hand auf die Brust legte, unsinnigerweise hinzu: »Ich bin’s, Alice Lindgren.«
    Er stieß die Tür auf, und ich hatte den Eindruck, als solle ich auf ihn zugehen. Erneut stieg ich die Stufen hinauf, blieb vor ihm stehen – er war obenrum tatsächlich nackt, trug weder Socken noch Schuhe, bloß eine hellbraune Kordhose – und versuchte, den Blick von seiner dunkel behaarten Brust loszureißen. Um seine großen, rötlichen Brustwarzen war der Haarwuchs stärker und verdichtete sich zu einer Linie, die vom Brustbein zum Nabel hinabführte und von dort noch tiefer hinab, wo ihm der Bauch ein bisschen über den Hosenbund hing. Seine Arme waren ebenfalls von schwarzen Haaren überzogen, die im oberen, sichtlich muskulösen Bereich jedoch spärlicher wurden. Mein Vater, den ich bislang als einzigen Mann mit nacktem Oberkörper gesehen hatte, war ebenfalls muskulös – mit seinen neunundfünfzig Jahren hatte er eine kompakte, sportliche Statur –, doch seine Brust war hell und unbehaart.
    »Meine Eltern sind nicht da«, sagte Pete. »Sind in der Kirche.« Sein Gesicht wirkte aufgedunsen und war voller Bartstoppeln. Ich hatte während der vergangenen Wochen oft an Mr. und Mrs. Imhof gedacht, doch um ehrlich zu sein, hatte ich Pete fast vergessen. Ich war noch nicht einmal sicher gewesen,ob er noch in Riley wohnte, doch in diesem Moment wurde mir klar, dass der Wagen, den ich gerammt hatte, höchstwahrscheinlich seiner gewesen war.
    »Ich dachte …«, begann ich zögernd. »Mir schien es besser, vorbeizukommen, wenn niemand zu Hause ist. Tut mir leid, wenn ich dich geweckt habe.« Worauf, wie vorherzusehen war, ein stilles Echo der anderen Entschuldigung folgte, die ich ihm eigentlich schuldete:
Es tut mir leid, dass ich deinen Bruder getötet habe
.
    »Du hast mich nicht geweckt«, sagte Pete.
    Ich sah nach unten (selbst auf seinen Zehen wuchsen dunkle Haare), dann wieder hinauf in seine Augen, die so haselnussbraun waren wie Andrews. »Es tut mir leid«, sagte ich, und wir hielten dem Blick des anderen stand, bis ich hinzufügte: »was ich getan habe«, und den Blick aus Angst vor den aufsteigenden Tränen abwandte. Die Daumen und Zeigefinger zusammengepresst, starrte ich zu Boden. Ich durfte vor einem Imhof nicht weinen.
    »Das wissen wir«, sagte er.
    Ich schaute auf.
    »Jeder weiß, dass es dir leidtut.« Seine Stimme klang weder barsch noch mitleidig, sondern nüchtern. Er gab mir nicht das Gefühl, an meiner Aufrichtigkeit zu zweifeln, trotzdem – und gerade weil mir das unaufrichtig erschien – verspürte ich den Wunsch, ihn davon überzeugen zu wollen. »Du brauchst meinen Eltern keinen Brief zu schreiben«, sagte er. »Sie wissen es. Meine Mutter hat Mitleid mit dir.«
    »Soll ich ihn besser wieder mitnehmen?«
    Er zuckte mit den Schultern. Keiner von uns sagte etwas, bis Pete nach fast einer Minute schließlich fragte: »Wartest du etwa darauf, dass ich dich hereinbitte?« Ich wollte gerade mit Nein antworten, als er hinzufügte: »Du kannst tun und lassen, was du willst«, wobei er sich umdrehte und zurück ins Haus ging. Ich folgte ihm. Das erschien mir, wenn auch nicht viel, so doch etwas weniger unangenehm, als einfach zu gehen.
    Drinnen brannte nirgends Licht, und als wir am Wohnzimmer vorbeiliefen, erkannte ich im Halbdunkel einen Steinkamin,eine marineblaue Samtcouch und

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