Die Frau des Praesidenten - Roman
sehen wollte, fand ich sie im Garten bei den Tomaten, Unkraut jäten.
»Wenn es okay für dich ist, bleibe ich noch zum Abendessen«, sagte ich. »Meine Freunde treffen sich nicht vor neun.« Das war gelogen, aber die Miene meiner Mutter hellte sich augenblicklich auf.
»Oh, das freut mich. Zum Nachtisch gibt es was, das wird dir ganz sicher schmecken.«
Während ich sie beobachtete – sie kniete auf der Erde und trug einen Hut aus weißem Frottee –, stieg ein Gefühl von Zuneigung, aber auch von Schuld in mir auf. Warum hatte ich Charlie nicht von Anfang an gesagt, dass ich heute Abend keine Zeit hatte? Wir waren beide flexibel und konnten genauso gut nächste Woche zusammen ausgehen. Doch in Wirklichkeit wollte ich nicht in Riley bleiben. Die Zugkraft familiärer Liebe und Verpflichtung konnte im Augenblick nicht mit der Aussicht auf frisch verliebten Sex konkurrieren. Mondschein, Bier und unsere ineinander verschlungenen, nackten Körper – das war es, was ich wollte, nicht mit zwei alten Frauen am Tisch sitzen und panierte Kalbsschnitzel und Wiener Torte essen. Sollte mich meine Verliebtheit gerade egoistisch machen, dann war das vermutlich kein Wesenszug, der nicht schon die ganze Zeit in mir gesteckt hatte, sondern lag vielmehr daran, dass ich nie zuvor verliebt gewesen war, oder zumindest schon eine ganze Weile nicht mehr.
Ich ging neben ihr in die Hocke. »Die Tomaten sehen gut aus.«
Meine Mutter warf das Büschel Unkraut auf einen Haufen. »Liebling, Dena hat dir bestimmt das von Marjorie erzählt. Lillian ist außer sich.«
Ich bemühte mich um einen unverfänglichen Gesichtsausdruck. Natürlich hatte mir Dena nichts von Marjorie, einer ihrer jüngeren Schwestern, erzählt.
»Du weißt ja, wie die Janaszewskis sind«, sagte meine Mutter. »Die Mädchen waren schon immer so eigenwillig. WasMack zu streng war, war Lillian zu nachsichtig. Für die Mädchen bedeutete das stets alles oder nichts.« Das Letzte, was ich von Marjorie Janaszewski gehört hatte, war, dass sie sich mit David Geisseler, dem jüngeren Bruder meiner ehemaligen Klassenkameradin Pauline Geisseler, eingelassen hatte; David hatte bereits zwei Kinder mit einer Frau, mit der er nicht verheiratet war, und er und Marjorie arbeiteten zusammen im Loose Caboose in der Burlington Street an der Bar. »Ich kann es Lillian nicht verdenken, dass sie beunruhigt ist«, sagte meine Mutter.
Ich trug die ganze Zeit über einen Umschlag bei mir – er war unverschlossen und unbeschriftet –, den ich nun meiner Mutter reichte. »Es war eine gute Idee von dir, die Brosche zu verkaufen«, sagte ich. »Ich habe sie zu einem Antiquitätenhändler gebracht.«
»Oh, du meine Güte.« Ohne hineinzuschauen, faltete sie den Umschlag zusammen und steckte ihn in ihre Rocktasche.
Ich musste mir auf die Zunge beißen, um nicht zu sagen
Pass gut darauf auf
. So beiläufig wie möglich erklärte ich ihr: »Sie hat sich als ziemlich wertvoll herausgestellt.«
»Das ist wundervoll«, sagte sie hastig. »Alice, meine Tomaten waren von Raupen befallen, und da hat mir Mrs. Falke geraten, Ringelblumen zu pflanzen, und das hat ganz wunderbar geholfen. Mrs. Falke ist zwar sehr bescheiden, aber sie hat einen grünen Daumen.«
Ich schloss die Augen, und für einen kurzen Moment tauchte das Haus in der McKinley Street vor mir auf, die Veranda, die Fensterplätze, der geheime Wandschrank, doch dann öffnete ich die Augen wieder und sah meine Mutter Unkraut aus dem Boden reißen, meine unerschütterliche und gutherzige Mutter mit ihrem weißen Frotteehut, und das Haus verschwand wieder. Ich hatte ihr einen Scheck über siebentausendeinhundert Dollar ausgestellt – sehr viel weniger, als Pete Imhof ihr abgeknöpft hatte, und exakt der Betrag, den ich für das Haus angezahlt hätte.
Es war schon nach Mitternacht, als Charlie und ich die Mendota Terrace verließen. Wie sich herausgestellt hatte, warenseine Freunde der Clique vom Barbecue bei den Hickens sehr ähnlich, und es gab sogar Überschneidungen: Will Werden, ein Cousin von Frank Werden, und seine Frau waren da, und nachdem Charlie mich allen vorgestellt hatte, stellten zwei der anderen Frauen und ich fest, dass wir uns vor einigen Jahren auf einer Babyparty kennengelernt hatten. Wir waren insgesamt zehn Personen, fünf Pärchen, und bis auf Charlies Börsenmakler und Freund Howard waren die anderen Paare alle verheiratet. Howard hatte seine einundzwanzigjährige Freundin Petal mitgebracht, die zwei Monate
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