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Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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Thiderich in voller Gänze von ihrem Rücken abhob. Er war kein wirklich guter Reiter und schaffte es nur mit viel Glück, sich noch im letzten Moment an ihrem Hals festzukrallen. Mit zittrigen Beinen glitt er an demselben entlang und rutschte so von dem stehenden Pferd. Zwar landete er nicht komplett der Länge nach im Nass, doch seine Stiefel waren die nächsten zehn Meilen unangenehm von Wasser und Schlamm durchtränkt.
    Seither musste er jede Pfütze in einer für Millie angenehmen Geschwindigkeit umreiten – und es gab viele Pfützen auf dem Weg nach Friesland.
    Wenn ihm sein Oheim Heyno nicht schon unzählige Male aus misslichen Situationen geholfen hätte und er ihm deshalb nicht wirklich etwas schulden würde, wäre er wahrscheinlich bereits umgekehrt. Schon oft hatte Heyno die Männer, mit denen Thiderich immer spielte, sobald er auch nur an einem Weinkrug roch, davon abgehalten, seinem Neffen an den Kragen zu gehen. Das Spiel war seine große Leidenschaft und das Bezahlen beim Verlieren seine große Schwäche. Seit jeher verdiente sich Thiderich sein Brot mit zweifelhaften Nebentätigkeiten, von denen viele an der Grenze der Ungesetzlichkeit waren.
    Sein Oheim, der eine von Grund auf ehrliche Haut war, hatte ihn bisher noch nicht überzeugen können, ganz und gar davon abzulassen. Aber obwohl Heyno die Lebensführung des Neunzehnjährigen nicht billigte, stand er ihm doch sehr nah und hielt große Stücke auf ihn. Thiderich war sehr geschickt, konnte so ziemlich alles reparieren oder bauen, war kräftig und scheute keine Gefahr. Kurzum, er fand sich einfach überall zurecht. Ein Lebenskünstler, wie Tante Ghesa immer zu sagen pflegte; doch wenn er so weitermachte, würde er niemals ein Eheweib finden, tadelte sie immer gleich hinterher. Kein anständiges Mädchen wollte einen umherziehenden Gauner zum Mann.
    Jedenfalls waren es Thiderichs Mut, sein Geschick und natürlich auch seine ewige Geldnot, die Heyno dazu veranlassten, ihn auf diese Reise zu schicken. Wie erwartet, nahm er den Auftrag an, der ihm eine volle Geldkatze in Aussicht stellte. Zudem war er ein Vagabund; schlief mal in diesem Stall oder in jener Scheune. Niemand würde ihn vermissen, und das war wichtig. Ragnhild, Ghesa und Heyno waren sich einig; sie durften keine Aufmerksamkeit erregen, wenn sie nicht wollten, dass der wagemutige Entschluss, einen eigenen Boten auszusenden, herauskam.
    Thiderich war von seinen Verwandten bestens aufgeklärt worden. Er wusste, was er zu tun hatte, und er wusste, dass ihm dafür nur drei Monate Zeit blieben. Schon allein diese Tatsache hätte ihn zur Eile angetrieben. Doch es gab noch etwas anderes, was ihn beflügelte.
    Gott hatte einen Engel gesandt, und diesem Engel durfte er nun dienen. Mit einem Lächeln dachte Thiderich an Ragnhild. Äußerst selten war ihm eine solche Schönheit begegnet. Ihre zarte Haut und das auffallend blonde Haar hatten ihn von Anfang an in ihren Bann geschlagen.
    Während des letzten Treffens der Verbündeten in der Hütte Heynos war ihr zufällig eine Haarsträhne aus der Haube gerutscht. Dieses Bild konnte er nun nicht mehr vergessen. In der Farbe der gelben Schmetterlinge hing sie ihr leicht gewellt fast bis zur Hüfte. Wie gerne hätte er das Haar in diesem Moment berührt. Ghesa bemerkte seinen lüsternen Blick allerdings als Einzige und holte ihn unsanft aus seinen Träumen, indem sie ihre Hand blitzartig auf seinen Hinterkopf schnellen ließ. Heyno hingegen hatte so rasch gar nicht verstanden, warum seine Frau Thiderich schlug, doch Ragnhild wandte sich augenblicklich beschämt ab, um ihr Haar zu ordnen. Ohne Vorwarnung nahm Ghesa darauf ihr Fischmesser vom Tisch, ging auf Ragnhild zu und schnitt ihr die Haarsträhne aus der Hand. Lautlos fiel diese zu Boden. Einen Moment des Schreckens lang sagte keiner ein Wort. Auch Ragnhilds offener Mund blieb stumm. Dann hob sie die Strähne auf und blickte fragend zu Ghesa. »Gebt sie ihm«, hatte diese nur gesagt und auf ihren Neffen gezeigt.
    Noch immer lächelnd, erinnerte sich Thiderich daran, dass Ragnhild wohl in diesem Moment geglaubt haben musste, Ghesa wollte damit die Gelüste ihres Neffen befriedigen. Dieser Gedanke brachte ihn immer wieder zum Schmunzeln.
    Dann aber erklärte die Frau des Fischers, dass Albert, wenn er denn tatsächlich noch leben sollte, Thiderichs Geschichte vielleicht keinen Glauben schenken würde. Mit Ragnhilds Haarsträhne jedoch hätte dieser einen Beweis für seine Glaubwürdigkeit.
    Seither

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