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Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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Johannes damit bezwecken wollte. Conrad sollte daran erinnert werden, was er Luburgis angetan hatte und dass sein Schwager durchaus in der Lage war, für ihre Vergeltung zu sorgen. Mit dem rechtswirksamen Erscheinen des Ordeelbooks besaß er sogar eine statthafte Grundlage, um ihm das Recht am eigenen Hab und Gut zu entziehen.
    Conrads Wut über die Dreistigkeit Johannes’, ihn so heimtückisch zu maßregeln, wich gleich darauf der Vernunft. Wie ein geprügelter Schuljunge musste er diese Schmach über sich ergehen lassen. Es war erniedrigend.
    Endlich waren sie bei dem zwölften Stück – über Diebstahl und Raub – angelangt und somit dem Ende nahe. Das Gerede von Johann Schinkel floss mehr und mehr durch Conrad hindurch. Viel zu lange schon saß er auf seinem Hintern, dessen Backen regelmäßig taub wurden. Er wusste nicht, wohin mit seinem Blick. Genau gegenüber saß sein verhasster Schwager, am linken Kopfende die Bürgermeister und am rechten Jordan von Boizenburg und sein Sprecher. Eigentlich hätte er aus Respekt in die Richtung Schinkels schauen müssen, der seit einer Ewigkeit vorlas, doch sein Hals wurde langsam steif, und so gönnte er seinen Gliedern einen kurzen Moment der Entspannung und dehnte und streckte sich auf seiner geschnitzten Holzbank so unauffällig wie möglich.
    Ein plötzlicher Schrei ließ ihn zusammenzucken und holte ihn aus seiner Trägheit zurück. Sofort schaute er auf und suchte den Ursprung des Ausrufs.
    Einige der Männer sprangen eilig auf und hasteten zum rechten Ende des Tisches. In kürzester Zeit hatte sich dort eine Menschentraube gebildet, und die Ersten der dort Versammelten fielen auf die Knie.
    Auch Conrad war nun aufgesprungen und quetschte sich an Hans Wulfhagen vorbei, der mit seinem massigen Leib ein Durchkommen fast unmöglich machte. Das aufgebrachte Gerede und lautstarke Verrücken der Holzbänke hatten das Röcheln des Stadtnotars bisher völlig übertönt. Jetzt, da Conrad nur zwei Schritte von ihm entfernt stand, konnte er ihn nicht nur hören, sondern auch sehen.
    Rücklings auf dem Boden liegend, bot er ein Bild des Entsetzens. Alle Farbe war aus dem faltigen Gesicht des Gelehrten gewichen. Weißer Schaum trat aus den Mundwinkeln, und seine Augen waren nach hinten verdreht. Die zittrigen Hände hielten die linke Seite der Brust. In regelmäßigen Abständen entfuhr seinem Mund noch ein stöhnender Laut, bis der Kopf mit dem schlohweißen Haar endgültig zur Seite rollte. Jordan von Boizenburg war tot!
    Die Trauerfeierlichkeiten waren gewaltig, fast schon die eines Grafen. Es wurden Messen in allen Pfarrkirchen gelesen und ein Meer von Kerzen gespendet. Selbstverständlich war Hamburgs gesamter Klerus im Dom versammelt, als der Leichnam zur Bestattung dorthin überführt wurde. Unzählige liefen in einem Trauerzug hinter dem von sechs Ratsherren getragenen Leichnam her und hatten sich vor und im Dom versammelt, um ihm das letzte Geleit zu geben. Der Domdekan selbst reichte Jordan von Boizenburg die Sterbesakramente. Nie war eine Totenrede feierlicher gewesen.
    Fast schien es, als wollte sich ganz Hamburg von dem Mann verabschieden, der ihr aller Leben so nachhaltig verändert hatte. Die enorme Ansammlung der Bürger war ein deutliches Zeichen dafür, wie beliebt der Gelehrte gewesen war. Selbst diejenigen, die die komplexe Stadtführung der Ratsherren, Grafen und Kirchenmänner kaum zu überblicken vermochten, wussten genau, was dieser Mann für ihre Stadt getan hatte. Jeder von ihnen hätte ohne Zögern die anschließende Totenwache übernommen.
    Jordan von Boizenburg hatte fast drei Jahrzehnte lang im Dienste Hamburgs gestanden. Sein ganzes Leben hatte er dem Wunsch geweiht, irgendwann unvergesslich zu sein. Diesen Wunsch konnte er sich tatsächlich erfüllen.
    »Es ist ein Jammer«, sagte Thedo von der Mühlenbrücke zu Bertram Esich und schlug sich gegen seine eiskalten Oberschenkel, die vom langen Stehen während der Trauerfeierlichkeiten taub geworden waren. »Nun wird er tatsächlich nicht mehr erleben, wie das neue Stadtrecht in Kraft tritt, dem er sich so lange gewidmet hat.«
    »Ja, Ihr habt recht, sein Tod zu dieser Zeit ist wahrhaft bedauerlich«, bestätigte der Bürgermeister traurig. »Für mich, weil ich einen Freund verloren habe, und für die Stadt, weil sie den vielleicht klügsten Mann eingebüßt hat. Gott sei Dank haben wir bereits einen würdigen Nachfolger.«
    Gleichzeitig schauten beide Männer zu Johann Schinkel, der sichtlich

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