Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
kaum einen Grashalm zu sehen bekommen hatten, hatte er die Stute bereits die vergangenen Tage mit dem Hafer füttern müssen, der eigentlich als Notration gedacht war. Nun hielt er die letzten Krümel in der Hand und hoffte inständig, dass er bald an eine Stelle mit etwas Essbaren kam – sei es zum Kaufen oder eben zum Klauen.
Aber nicht nur Millie musste Hunger leiden, auch Thiderich knurrte der Magen. An einem der letzten Tage hatte er ein Kaninchen vor seinem Bau erwischt und an einem anderen einen Vogel mit einem Stein, doch seither bestanden seine Mahlzeiten aus dem harten Kanten Brot und dem Käse, den er auf dem Markt vor der Abreise für sich gekauft hatte.
Die eintönigen Tage dieser anstrengenden Reise waren jedoch so gut wie gezählt. Bald schon würde er sich in den Landen der friesischen Häuptlinge befinden – fast jede Art der Veränderung war dem jungen Heißsporn mittlerweile recht. Schon heute würde es, laut Heyno, einen spannenden Wegabschnitt geben, denn heute war der Tag, an dem er die Weser mit einem Prahm überqueren musste. Nach dieser Überquerung würde er in das Friesenland Rüstringen gelangen. Von dort an waren es nur noch ein bis zwei Tagesritte nach Aldessen, wo Heyno angespült worden war.
Endlich war er seinem Ziel sichtlich näher. Im Laufe des Tages hatten sich nun auch die letzten großen Wälder der Umgebung gelichtet, und endlich, ja endlich, hatte der Regen aufgehört.
Thiderich hatte die einsamen Landstriche hinter sich gelassen. Je näher er der Weser kam, umso mehr Menschen begegneten ihnen. Viele von ihnen waren Fischer, was er an ihrem mitgeschleppten Hab und Gut erkannte. Gern hätte er angehalten und mit ihnen geredet, doch ihr Verhalten hielt ihn davon ab. Offenbar sah er so fremdländisch aus, dass sie gar nicht erst versuchten, ihn in ihrer Sprache anzureden. Ein kurzes Handheben und Kopfnicken als Gruß schienen ihnen sinnvoller zu sein, und Thiderich tat es ihnen gleich.
Bis hierherzugelangen war tatsächlich nicht allzu schwierig gewesen. Heyno hatte ihm gut beschrieben, wie er reiten musste und woran er sich orientieren konnte. Von Hamburg aus hatte er sich gen Westen gewandt. Sein erstes Ziel war die Horneburg gewesen, die er nach dem Nonnenkloster der Benediktinerinnen bei Buxtehude erreicht hatte. Eigentlich war diese Strecke leicht an zwei Tagen zu schaffen, doch Millies Eigensinn und seine mangelnde Ausdauer hatten fast drei daraus werden lassen. Von dort aus sollte er weiter zur Burg Vörde reiten. Dieser Abschnitt war zwar kürzer als der erste, doch die moorige Landschaft und der Muskelkater von Pferd und Reiter, die so viel Bewegung nicht gewohnt waren, ließen sie auch hier zwei Tage zurückfallen. Weiter Richtung Westen hatte er nach drei beschwerlichen Tagen die Burg Stotel passiert, um dann endlich, erschöpft und müde, an die Weserböschung zu kommen, wo er sich gerade befand.
Zusammen mit ein paar anderen Fahrgästen standen Thiderich und Millie am Weserufer und sahen zu den beiden Bootsführern hinüber, die sich etwas umständlich abmühten, den alten Flußprahm aus zusammengebundenen Holzstämmen von einer Seite zur anderen zu bekommen. Sie benutzten dazu lange Holzstangen, die sie in den Flussboden stemmten, um das Boot gegen die Strömung zu bewegen. Ihren muskulösen Armen nach zu schließen, war diese Arbeit sehr kraftraubend, und als sie endlich ans Ufer stießen, stand den Männern der Schweiß auf der Stirn.
Geübt sprangen die Wartenden auf den Prahm und überreichten den Männern ihre Münzen für das Übersetzen. Thiderich wollte es ihnen gleichtun und legte dem Fremden zwei Münzen in die Hand. Doch als er den ersten Fuß auf das Holz setzte, hielt ihn der Mann auf und zeigte auf Millie. Im selben Moment begann er wild gestikulierend in seiner Sprache loszureden.
Thiderich hörte diese Laute nun bewusst zum ersten Mal, und er verstand wirklich kein einziges Wort. Dennoch war ihm klar, dass der Prahmführer eine weitere Münze für das Pferd von ihm wollte. Obwohl Thiderich bereits das Doppelte bezahlt hatte, weigerte sich der Fremde, ihn und Millie auf das flache Boot zu lassen.
Die wartenden Fahrgäste auf dem Prahm schienen ausnahmslos einheimische Rüstringer zu sein und fingen nun an, über die schimpfenden Worte des Mannes zu kichern.
Thiderich verstand sofort, dass der Fremde ihn übers Ohr hauen wollte, und wurde wütend. Mit eindeutigen Gesten verlangte er seine Münzen zurück, doch der Prahmführer dachte gar
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