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Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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und warf Runa das halbfertige Tuch achtlos vor die Füße. »Ich darf mir gar nicht ausmalen, wie beschämend es für mich und deine Mitschwestern gewesen wäre, wenn wir diesen Schund aus unseren Gemäuern herausgetragen hätten. Gott selbst hätte es sicher eher in Flammen aufgehen lassen, als es auf seinem heiligen Altar zu dulden.«
    Runa wusste im ersten Moment gar nicht, was die Magistra von ihr wollte. Erst als sie das kostbare Tuch vor die Füße geworfen bekam, ahnte sie, worum es ging. »Verzeiht, wenn ich unerlaubt spreche, Magistra, aber dies ist nicht meine Arbeit. Es ist die der Schwester Clara.«
    »Das ist ja wohl unerhört«, prustete Ingrid entrüstet. »Wage es nicht noch einmal, deine lügnerische Zunge zu bewegen, bevor ich dich dazu auffordere. Schwester Clara liefert stets tadellose Stickereien ab, im Gegensatz zu deinen Pfuschereien. An dir ist jeder noch so grobe Stoff verschwendet. Deine zwei linken Hände taugen ja kaum dazu, Unkraut aus dem Klostergarten zu entfernen«, wetterte Ingrid weiter. Diese Behauptung entbehrte selbstverständlich jeder Wahrheit. Runa war unter den Schwestern dafür bekannt, die Geschickteste mit der Nadel zu sein. Doch es hatte keinen Sinn, sich erneut gegen Ingrids Behauptungen zu stellen. Jedes weitere Wort würde die kommende Strafe nur noch härter ausfallen lassen.
    Die Magistra mäßigte ihren Ton wieder, strich ihre Röcke glatt und richtete ihren Schleier. Dann verkündete sie ihren unanfechtbaren Willen. »Mir scheint, du bist zu abgelenkt mit anderen Dingen. Aber ich werde dafür sorgen, dass es dir in Zukunft wieder einfacher fällt, dich auf deine Aufgaben zu besinnen. Von nun an verbiete ich dir, Besuch von deiner Mutter Ragnhild von Alevelde zu empfangen. Vielleicht schaffst du es ja dann, Stickereien zu fertigen, die unserer heiligen Mutter Kirche würdig sind. Du kannst jetzt gehen.« Mit unverhohlener Zufriedenheit konnte die Magistra sehen, dass Runa bei der Verkündung ihrer Strafe mit den Tränen kämpfte. Doch Mitleid war ihr fremd – ganz im Gegenteil –, sie genoss es, die Macht zu besitzen, Ragnhilds Tochter solch einer infamen Lüge beschuldigen zu können und sie auch noch dafür bestrafen zu dürfen.
    Runa hingegen war fassungslos. Obwohl es so offensichtlich war, dass Ingrid sich diese angebliche Verfehlung bloß ausgedacht hatte, musste sie sich fügen. Die Ungerechtigkeit dieser Strafe traf sie hart, doch weit härter traf sie die Strafe selbst. Ingrid hatte tatsächlich etwas gefunden, womit sie Runa Schmerz bereiten konnte. Nun musste die junge Begine fürchten, dass sie einen der wenigen Menschen, der sie aufrichtig liebte, für immer verlor.
    »Was soll das heißen, Schwester Runa ist nicht zu sprechen?«, fragte Ragnhild entrüstet.
    »Es tut mir leid. Schwester Runa hat heute keine Zeit«, wiederholte die Begine abermals tonlos.
    Jetzt hatte Ragnhild genug. Wie oft wollte die blöde Gans diese Worte noch wiederholen?, fragte sie sich insgeheim. »Ich verlange, dass Schwester Runa mir diese Nachricht selbst überbringt. Holt sie bitte ans Tor.« Daraufhin hörte Ragnhild nur noch, wie die kleine Luke in der schweren Tür vor ihrer Nase zugeknallt wurde. Das konnte doch einfach nicht wahr sein. Am liebsten hätte Ragnhild vor Wut mit den Fäusten gegen die Tür gehämmert. Sie wusste nur zu gut, dass die Schwester sie eben belogen hatte. Runa hätte ihr Treffen niemals abgesagt. Ingrid steckte dahinter; da gab es keinen Zweifel.
    Eigentlich wunderte sich Ragnhild schon eine Zeitlang darüber, dass die Magistra sie einfach gewähren ließ. Bereits viel früher hatte sie damit gerechnet, dass ihre alte Feindin etwas unternahm, um sie von ihrer Tochter fernzuhalten. Nun hatte sie es tatsächlich geschafft. Wütend ließ Ragnhild das Kloster hinter sich. Ohne dass sie es wollte, fühlte sie sich zurückversetzt in die Zeit, da sie selbst noch eine Begine gewesen war und unter dem Joch Ingrids zu leiden hatte. Wie froh war sie, diese Tage hinter sich zu haben. Es erschien ihr furchtbar ungerecht, dass Runa nun unter der alten Feindschaft der Frauen zu leiden hatte.
    Ragnhild beschloss, nicht gleich wieder nach Hause zu gehen. Allein der Gedanke, dort wieder auf die mürrische Grit zu treffen, hielt sie davon ab. Was sie jetzt brauchte, war ein liebes Gesicht um sich; das Gesicht einer Freundin. So beschloss sie, noch schnell einmal bei Agatha vorbeizuschauen. Wenige Augenblicke später fand sie sich in deren Küche wieder.
    »Wie

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