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Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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Schnell, lass mich ein. Weck deinen Herrn und meine Mutter. Die Stadt brennt. Wir müssen …«
    Schon war die Tür wieder geschlossen. Runa stand ungläubig davor. Sie ahnte, dass Symon seiner immer griesgrämigen Magd aufgetragen hatte, niemanden einzulassen. Doch diesmal ging es um Leben oder Tod! Runa hieb erneut mit den Fäusten gegen die massive Tür und schrie nach ihrer Mutter, doch es regte sich nichts. Sie wusste, es machte keinen Sinn. Selbst wenn Symon und ihre Mutter jetzt herausgekommen wären, hätte er Runa wohl verscheucht. Hier konnte sie nichts mehr ausrichten; sie hatte getan, was sie konnte. Grit würde nun mit Sicherheit alle wecken, und das war alles, was zählte. Runa konnte nicht länger warten; sie musste zu ihrem Vater und ihrer Halbschwester.
    So schnell sie ihre Füße trugen, rannte sie in Richtung des Katharinen-Kirchspiels, wo ihr Vater wohnte. Sie kam an den Domkurien vorbei und überquerte das Reichenstraßenfleet und das Gröningerstraßenfleet. Was sie hier sah, war weit schlimmer, als sie erwartet hatte.
    Die ehemalige Neustadt stand komplett in Flammen, und auch von der Grimm- und der Cremon-Insel waren bereits weite Teile dem Feuer zum Opfer gefallen. Plötzlich vernahm sie mit Schrecken ein ohrenbetäubendes Donnern und sah dann, wie eine glühende Wolke genau dort aufstob, wo einst die Katharinen-Kirche gestanden hatte. Das Licht des Feuers war so hell, dass man kaum hinschauen konnte, und die Hitze der Glut brannte auch in dieser Entfernung heiß auf Runas Gesicht. Immer mehr Menschen kamen ihr in panischer Flucht entgegen – wild entschlossen, alles niederzutrampeln, was ihnen im Wege stand. Jeder wollte dorthin, woher Runa gekommen war. Niemand lief in ihre Richtung, und so musste sie sich wieder durch eine immer dichter werdende Masse kopflos flüchtender Menschen quetschen. Nur nicht hinfallen, war ihr einziger Gedanke. Wenn sie hinfiel, würde man sie einfach überrennen – und das wäre ihr sicherer Tod!
    Je näher sie dem Haus ihres Vaters kam, desto furchtbarer wurden die Bilder um sie herum. Fast jedes Haus stand bereits mehr oder weniger in Flammen. Immer wieder liefen brennende Menschen schreiend an ihr vorbei, und der Gestank von verkohltem Fleisch übertraf fast den des verkohlten Holzes.
    Runa hatte furchtbare Angst. Am liebsten wäre sie einfach umgedreht und aus der Stadt gelaufen, doch die Sorge um ihren Vater und Margareta war mächtiger. Sie hatte es schon fast geschafft. Die nächste Wegbiegung würde ihr freie Sicht auf das Haus ihres Vaters gewähren, doch was sie dort erblickte, ließ sie abrupt stehen bleiben. Sie wollte und konnte ihren Augen nicht trauen. Das obere Stockwerk brannte bereits lichterloh und drohte jeden Moment in sich zusammenzufallen. Aus der unteren Etage quoll dicker, schwarzer Rauch. Auch aus den benachbarten Häusern züngelten bereits helle Flammen. Wie aus dem Nichts fing in genau diesem Moment das Dach des rechten Hauses mit einer gewaltigen Stichflamme Feuer. Die Menschen darunter hoben schreiend ihre Arme über ihre Köpfe und stoben auseinander.
    In Runa schrie mittlerweile alles nach Rückzug, doch ihre Beine trugen sie dennoch weiter zum Haus ihres Vaters. Während sie geschubst und gestoßen wurde, starrte sie die ganze Zeit wie gebannt auf die kunstvoll geschnitzte Eingangstür. Noch immer hoffte sie inständig, dass diese jeden Augenblick aufspringen und ihre Familie freigeben würde, doch es geschah nichts dergleichen. Stoßweise atmend und mit wilden Armbewegungen bahnte sie sich den Weg durch die Menge. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als genauso brutal vorzugehen wie alle anderen. Sie wusste nicht, wie viele Menschen sie auf diese Weise zu Fall gebracht und somit möglicherweise in den Tod gestürzt hatte, doch wenig später stand sie tatsächlich vor der Tür ihres väterlichen Hauses. Ohne zu zögern, verdeckte sie ihr Gesicht mit ihrem Arm und stieß die Tür des Hauses auf. Sofort kam ihr eine dichte, schwarze Rauchschwade entgegen, welche ihr augenblicklich die Sicht und den Atem nahm. Erst als sich die Wolke etwas lichtete und ihr Husten sich wieder beruhigte, ging Runa hinein in das brennende Haus. Dabei schrie sie unentwegt und immer im Wechsel die Namen aller Bewohner. Ungeachtet dessen, dass sie eine Antwort im Lärm des Feuers sehr wahrscheinlich nicht einmal hätte hören können, rief sie weiter.
    Dann plötzlich krachte es nur eine Mannslänge von ihr entfernt, und Runa sprang erschrocken zur

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